Assange und Küssel

Von wegen „Anarchismus“, von wegen „libertär“: Alles, was ich zur Zeit in der Causa Wikileaks beobachte, ist ein hysterischer Führerkult rund um Julian Assange, der sich darin äußert, dass die Assange-Jünger mit einer beängstigenden Aggressivität auf jeden losgehen, den sie im Verdacht haben, er könne ihrem Idol schaden. Boykottaufrufe gegen Kreditkartenfirmen und Internethandelsportale stören mich da nicht weiter, denn solches gehört ja zum Standardrepertoire so gut wie jeder Aktivistengruppe. Wenn aber Websites gehackt bzw. durch Dos-Attacken lahmgelegt werden und man dabei nicht einmal vor der Internetpräsenz eines Rechtsanwalts zurückschreckt, der jene zwei Schwedinnen vertritt, die Assange wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung angezeigt haben, dann hört sich der Spaß auf, dann wird die Grenze zur Kriminalität überschritten, dann wird eine Verachtung für den Rechtsstaat gezeigt, die höchst unsympathisch ist. Dass die mutmaßlichen Opfer von Assange in Internetforen auf das Wüsteste beschimpft werden („Schlampen“ etc), passt in das unschöne Bild einer wild gewordenen Nerd-Szene, die mit Frauen eh nicht gut kann und die, hübsch feig aus der Anonymität heraus und zwischen dem Herunterladen von Animepornos, ein bisserl auf Revoluzzer macht. Dass unterdessen Russland, wo ein Assange schon längst mit einer Kugel im Kopf unter der Erde liegen würde, zynisch vorgeschlagen hat, dem Wikileaks-Gründer den Nobelpreis zu verleihen, bringt die Pseudoanarchisten wohl ebenso wenig zum Nachdenken wie der Widerspruch, dass eine Internetplattform, die sich der totalen Informationsfreiheit verschrieben hat, in erster Linie gegen die USA und andere westliche Staaten und Firmen agitiert und sich bislang nicht allzu intensiv mit jenen wirklich mutigen Menschen solidarisiert hat, die in China, Russland, Iran und diversen arabischen Staaten täglich Freiheit und Leben riskieren, wenn sie ihre Meinung sagen oder gar Aufdeckungsjournalismus betreiben. Kurz: Protestaktionen seien jedem unbenommen. Sich so aufzuführen, als müsse man mit allen, also auch illegalen Mitteln einen Kampf gegen ein faschistisches Unterdrückerregime führen, ist kindisch, objektiv falsch und am Ende des Tages wohl kontraproduktiv.

Wo wir gerade bei mehr oder weniger politisch motivierter Kriminalität sind: In rechtsextremen Zirkeln kursiert derzeit ein Brief des Wiener Neonazi Gottfried Küssel, in dem dieser davon berichtet, jemand hätte ihm die Radmuttern an seinem Auto gelockert. So sehr ich Küssel für seine Weltanschauung und seine Taten auch verabscheue und so sehr man auch mit gutem Recht daran zweifeln mag, dass an der Geschichte überhaupt was dran ist: So eine Aktion ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Erstens führt das genau zu jenen Zuständen, die die Neonazis herbeisehnen, also zu einer Delegitimation des Rechtsstaates durch Selbstjustiz und einer zunehmenden Militanz an den extremen Rändern der Politik. Zweitens hat Küssel Familie, hat Kinder, die nun wirklich nichts dafür können, vom Möchtegernführer der „Ostmark“ gezeugt worden zu sein, und die haben es nicht verdient, an Leib und Leben gefährdet zu werden, bloß weil ihr Papa ein Widerling ist. Drittens wäre ein Attentat auf Küssel nur dann gerechtfertigt, wenn der Typ tatsächlich kurz davor stünde, die Macht in diesem Land zu ergreifen, doch davon ist er so weit entfernt wie eh und je. Wie gesagt: Ich bin der Letzte, der für einen Gottfried Küssel Sympathie empfindet, denn ich weiß, wozu er und seine Gesinnungsgenossen fähig wären, wenn sie könnten, wie sie wollen. Und wenn mich ein Nazi tätlich angreifen sollte, würde ich nicht zögern, mich auch mit letalen Mitteln zu verteidigen. Doch wer meint, es sei eine gute Idee, im Kampf gegen Nazis zu illegalen Methoden zu greifen, der ist auf einem gefährlichem Weg und hat ganz sicher nicht meine Unterstützung. Wer gegen Neonazis ist, muss diese politisch, publizistisch und mit den Mitteln des demokratischen Rechtssaates bekämpfen. Attentatsversuche, die noch dazu das Leben der Kinder des „Zielobjekts“ gefährden, sind moralisch absolut abzulehnen, und wer solches tut oder im Sinn hat, ist nicht besser als jene Nazis, die mit Drohungen gegen die Familien ihrer Feinde diese zum Schweigen zu bringen versuchen.

11 Gedanken zu „Assange und Küssel

  1. armselig, mannomannomann, aber so etwas von.

    Ich glaube freilich nicht, dass es interessiert, aber mal kurz in den Kommentarraum, was mich verstört/faszniert beim Lesen deiner Einträge, immerhin schon das eine oder andere Jahr: die Extreme meiner Reaktionen mal grimmig zustimmend, dankbar, dass ich diese bedachte Analyse oder jene fundierte Perspektive in dieser Medienlandschaft finden kann, mal leicht fassungslosen Widerwillen ob der hysterischen Moralkeulen oder aggressiven und platt konstruierten Feindkonstruktionen und billigen Tricks. Und dazwischen so gut wie nichts. Mais oui, so what.

  2. Daß der Anwalt der angeblich vergewaltigten Schwedinnen ins Kreuzfeuer kommt find ich aus mehreren Gründen o.k.: Erstens ist es ein Anwalt^^.
    Zweitens geht es nicht um diese Frauen, sondern um einen sehr durchsichtigen Versuch der Diskreditierung des Wikileaks-Chefs.
    (Inzwischen weiß man ja schon so einiges dazu, wenns einen interessiert: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33799/1.html)

    Den Vorwurf, Wikileaks würde sich unfair!! bloß mit dem eh so freien Westen beschäftigen, verstehe ich gerade von dir nicht. Wenn es stinkt darf man ja wohl noch darauf hinweisen!

    Diese Angriffe auf die Kreditkartenfirmen sind mMn völlig legitim (wenn auch nicht legal) – hier werden damit bigotte kapitalistische Unterdrückungsmechanismen angegriffen – oder wie kann man erklären daß das böse Wikileaks von Visa und Mastercard geächtet wird, aber der Ku Klux Klan (zB) weiterhin Spenden über diese Firmen annehmen kann?

    Dein Schimpfen über pornöse Nerds ist auch nochmal lächerlicher, wenn man sich die Wortmeldungen aus dem amerikanischen Republikanerlager (vA) zu dem Thema aus den letzten Tagen ansieht. Hier wird offen zum Mord aufgerufen -> http://www.guardian.co.uk/world/2010/dec/01/us-embassy-cables-executed-mike-huckabee

    Weshalb haben die alle die Hosen voll? Ich hoffe, die versprochenen Dokumente aus der Bankenszene werde im Frühjahr wie versprochen von Wikileaks offengelegt.

  3. ist ja fein, wenn sie „politisch, publizistisch und mit den Mitteln des Rechtsstaats“ gegen etwas vorgehen wollen.

    Nur – was machen sie, wenn sich kein maßgeblicher Politiker für ihr Anliegen interessiert?
    Wenn sie von den großen Zeitungen nicht mal Platz auf der Anzeigenseite für ihr Anliegen bekommen?
    Wenn sich der Rechtsstaat einfach weigert tätig zu werden und sich in weiterer Folge mit aller Macht gegen sie wendet?

    Natürlich ist es weder gut noch richtig, daß fast nur Dokumente aus den USA veröffentlicht werden. Ich nehme aber an, daß das nicht an Wikileaks liegt, sondern halt am Vorhandensein von entsprechendem Material aus anderen Ländern. Aber ich bin mir sicher, daß die Publizität, die Wikileaks in den letzten Tagen bekommen hat, dafür sorgen wird, daß auch Dokumente aus anderen Staaten auftauchen werden.

    Oder um es anders zu formulieren – die Tür zum Wohnzimmer wurde heimlich geöffnet und das Kind hat gesehen, daß die Eltern das Christkind sind 🙂 Diese Tür kann zwar geschlossen werden, das Wissen bleibt dem Kind aber.

  4. „Den Vorwurf, Wikileaks würde sich unfair!! bloß mit dem eh so freien Westen beschäftigen, verstehe ich gerade von dir nicht. Wenn es stinkt darf man ja wohl noch darauf hinweisen!“

    im krieg passieren viele schlimme dinge und wenn man nur die grausamkeiten EINER kriegsführenden seite der öffentlichkeit zeigt, dann entsteht bei den einfach gestrickten (und das ist anscheinend die ueberwiegende mehrheit) der falsche eindruck, dass nur amerikaner kriegsverbrechen und greueltaten begehen.

    wobei in wahrheit die taliban um potenzen schlimmeres anrichten, täglich und auch wenn grad kein krieg ist.
    in nordkorea gibts KZs mit politischen gefangenen. im iran werden homosexuelle oeffentlich hingerichtet, gemeinsam mit ehebrechern oder leuten die zufaellig bei einer demo vorbeispazieren. in china werden leute willkürlich eingesperrt, die sich menschenrechte wünschen. ähnlich in russland, kuba, venezuela usw.
    das weiss jeder, der es wissen will.

    steht davon irgendwas auf wikileaks?

    wikileaks ist nicht neutral, hetzt ausschliesslich gegen die USA und hilft damit den feinden der USA, die zufaellig genau die gleichen leute und organisationen sind, die auch uns nicht allzu freundlich gesinnt sind.

    spaetestens seit der veroeffentlichung der liste mit strategischen terrorzielen sollte jedem klar sein, auf wessen seite wikileaks steht. es ist offensichtlich und dass so viele leute es nicht sehen, kann ich mir nur durch einen ausgepraegten führerkult erklaeren, der jede kritische haltung dem guru gegenueber unmöglich macht.

    seine internet-anonymus-SS macht ihn auch nicht sympatischer. wer ist das nächste ziel? wer bestimmt, was recht und was unrecht ist? eine gruppe perverser, kaputter nerds? schon mal auf 4chan gewesen? ich kenne diese seite gut, dort versammelt sich der abschaum des internets, ich habe wirklich kein interesse daran, dass die anon bewegung bestimmt was erlaubt ist und was nicht.

    die assange hysterie erinnert mich an haider in kaernten, der konnte auch machen was er wollte und niemand nahms ihm uebel.

  5. „wer bestimmt, was recht und was unrecht ist? eine gruppe perverser, kaputter nerds? schon mal auf 4chan gewesen? ich kenne diese seite gut, dort versammelt sich der abschaum des internets,…“

    Noch Fragen? 🙂

  6. schon bloed, wenn jemand weiss, wovon er redet, nichwahr…

    hab gerade mit meiner visa-karte eine grosse bestellung bei amazon bezahlt…das tut gut!

  7. Ach, selbst wenn es aus anderen Ländern solche Dokumente geben würde – der Spiegel würde sie kaum drucken, weil es die Menschen hier nicht interessiert.
    Und was 4chan und Anonymous angeht:
    Was erwartet ihr vom kollektiven Unterbewusstsein ?
    In Mob ist selten feinsinnig…
    No one of us is as cruel as anyone of us
    http://encyclopediadramatica.com/Anonymous

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