Austrian Audio Hi-X65: Der Kopfhörer für Fortgeschrittene

Der Weltmarkt wird seit einigen Jahren geradezu überschwemmt mit immer neuen Kopfhörermodellen. Es war nämlich noch nie so leicht, in dieses Geschäft einzusteigen. Was etliche findige Unternehmer machen: Sie denken sich einen fetzigen Namen aus, kaufen dann in China fertige Kopfhörer vom Fließband, drucken ihr Firmenloge drauf, lassen sich eine aggressive Marketingstrategie einfallen und machen, falls die Rechnung aufgeht, so um die 300 % Profit. Das ist sozusagen die dunkle Seite der Kopfhörermacht. Zum Glück gibt es auch eine helle. Weltweit entstehen junge Firmen, die die traditionellen Platzhirschen herausfordern und mit Qualität und Innovation überzeugen wollen statt mit Rosstäuscherei.

Wer ist Austrian Audio?

Eine der interessantesten dieser neuen Firmen ist Austrian Audio. 2017 in Wien gegründet, besteht das Team von AA vor allem aus ehemaligen AKG-Ingenieuren, die nach dem Verkauf der Traditionsfirma zunächst an Harman und dann an Samsung und die folgende Neuausrichtung des AKG-Portfolios auf Middle-of-the-Road-Produkte ihr eigenes Ding machen wollten. Freilich nicht ohne ein letztes Hurra. Der kurz vor der Übernahme 2014 noch in Wien entwickelte AKG K812 gehört bis heute zu den besten Kopfhörern der Welt. Seit die Gründung von Austrian Audio bekanntgegeben wurde, war ich gespannt, was sich jene Köpfe, die solche legendären Kopfhörer entworfen hatten, einfallen lassen würden, um mit Sennheiser, Beyerdynamic, Hifiman, Meze, Sony, Denon, AKG und den ca 5.000 anderen mehr oder weniger namhaften Herstellern von Kopfhörern konkurrieren zu können.

Das erste Unterscheidungsmerkmal zu einem Großteil der Mitbewerber ist die Konzentration von Austrian Audio auf den Profi-Bereich. Die ersten verkaufsfertigen Produkte waren nicht Kopfhörer, sondern Mikrophone. Das war ein Statement, das so viel sagte wie: „Am wichtigsten ist uns, dass Tonstudios, Musikproduzenten und Musiker unsere Produkte mögen. Falls darüber hinaus auch der eine oder andere Audiophile bei uns einkauft – auch gut“. Den Mikrophonen folgten die geschlossenen Studiokopfhörer Hi-X50 und Hi-X55. 2021 schließlich kam mit dem Hi-X65 der erste offene Referenzkopfhörer von Austrian Audio auf den Markt und es war an der Zeit, den Wienern mein Ohr zu leihen.

Was es ist

Preis: 349 Euro

Treiber: 44mm High Excursion, dynamisch

Magnetstärke: 1 Tesla

Empfindlichkeit: 110 dBspl/V

Impedanz: 25 Ohm

Frequenzbereich: 5 Hz bis 28 Khz

Klirrfaktor: Weniger als 0,1 %

Gewicht: 310 Gramm

Der Hi-X65 ist ein ohrumschließender dynamischer Kopfhörer (Over-Ear) in offener Bauform. Die Rückseite der Ohrmuscheln lässt also Töne hinaus und hinein. Die Ohrpolster sind aus Memory-Schaum und bieten mit ihrer an eine Pferderennbahn erinnernden ovalen Form sehr viel Platz für Ohren aller Größen. Geliefert wird der Hi-X65 mit zwei Kabeln, einem drei Meter langen und einem 1,5 Meter kurzen, die beide mit einem abnehmbaren 3,5mm-Stecker angeschlossen werden. Die Kabel sind relativ dünn und unauffällig, erweisen sich in der Praxis aber als recht geschmeidig, verzwirbeln also nicht und sind vor allem nicht mikrophonisch, leiten also nicht nach Berührung ungewollte Töne ans Ohr.

Der Kopfhörer selber besteht aus Metall und hochwertigem Kunststoff, ist faltbar und macht einen edlen Eindruck. Ich habe nun doch schon einige Kopfhörer getestet und der Hi-X65 fühlt sich nach Qualität an. Nach einem guten Monat intensiven Testens, bei dem er mir auch zweimal auf den Boden gefallen ist, habe ich nicht den Eindruck, als würde er demnächst kaputt gehen. Er wurde offensichtlich als Arbeitstier entworfen und ist entsprechend stabil. Ob man einen Kopfhörer schön oder hässlich findet, ist natürlich Geschmackssache, aber mir persönlich gefällt die Designsprache von Austrian Audio sehr gut. Der Hi-X65 wirkt in natura übrigens hübscher als auf Fotos.

Der Tragekomfort ist Weltklasse. Die weichen Ohrpolster schmiegen sich sanft an den Kopf und der Anspressdruck ist exakt richtig. Stramm genug, um den Hörer sicher auf den Ohren zu halten, aber schon direkt aus der Verpackung nie so stark, als dass da irgendwas zwicken oder drücken würde.

Foto: Bernhard Torsch

Klang

Ich könnte es kurz machen und einfach schreiben: „Volltreffer“. Die in Wien entwickelten High-Excursion-Treiber gehören zum Allerbesten, was ich je gehört habe. Sie sind ungeheuer schnell. Tansienten werden ohne die geringste Verzögerung abgebildet. In diesem Bereich schlägt der Hi-X65 alles, was ich kenne. Allenfalls höherpreisige Grados sind vergleichbar flink. Eine weitere unerwartete Ähnlichkeit zur Kopfhörer-Manufaktur in Brooklyn: Der Hi-X65 ist eindeutig ein heller Hörer. Aber da hört die Ähnlichkeit zu Grado auch schon wieder auf, denn der Austrian Audio hat eine ganz eigene Soundsignatur, die ihn unverwechselbar macht. Er hat viele Tugenden der „alten“ AKG-Flagschiffe wie K701 und K712, aber man merkt, dass die Zeit nicht stehengeblieben ist. Da ist immer noch diese einst für AKG typische knochentrockene Mittenzeichnung, die manche hassen und manche lieben, die aber so nahe am Original der Aufnahme dran ist, wie es für Kopfhörer nur geht. Die High-Excursion-Technologie bringt nicht nur viel mehr Speed als die alten AKG-Kopfhörer, sie bewirkt auch eine ungeheuer exakte und saubere Wiedergabe, genauere und tiefere Bässe und einen absolut schwarzen Hintergrund ohne Verzerrungen. „Neutral“ würde ich das trotzdem nicht nennen, viel mehr präzise und vor allem extrem detailliert. „Neutral“, also flach, wären zB eher (ganz neutral ist nichts) ein Sennheiser HD600 oder der Ollo S4X. Der Hi-X65 ist nicht „flat“, aber dermaßen genau, dass er sich zum Mischen und Mastern eignet. Er hat diese Exaktheit, die man sonst nur von seeeehr teuren Monitor-Boxen kennt.

Für den Otto-Normal-Audiophilen sollten das gute Nachrichten sein. Sollten. Nicht jeder mag es, wenn ein Kopfhörer so detailversessen aufspielt wie der Hi-X65. Ich persönlich kann gar nicht genug davon kriegen. Ich liebe es, noch die verborgensten Feinheiten in einem Track heraushören zu können. Und genau das bietet der Hi-X65. Er ist ein Detail-Monster. Man hört damit im Mix vergrabene Percussion, während einer lauten Rock-Hymne ganz „hinten“ und ganz leise spielende Akustikgitarren, Nuancen im Timbre einzelner Stimmen bei mehrstimmigen Gesangspassagen, kurz: Man hört nahezu alles, was sich hörbar machen lässt. In Sachen Details spielt der Hi-X65 in einer Liga mit dem Sennheiser HD-800S, dem AKG K812 und dem Focal Clear. Den Meze Empyrean hängt er diesbezüglich sogar ab. Diese viel teureren Kopfhörer haben natürlich wieder andere Soundings, die der Austrian Audio nicht hat, zum Beispiel eine weitere Bühne (HD-800S), mehr Luftigkeit (K812) oder eine Art magischen „Klingt-gut-Syrup“ (Meze Empyrean), aber rein von der Auflösung her ist der Hi-X65 ganz vorne mit dabei und in puncto Geschwindigkeit überflügelt er die genannten dicken Brummer sogar.

Der Hi-X65 macht deutlich, wie wichtig erfahrene Toningenieure sind. Bei Austrian Audio weiß man offensichtlich, was man tut und wie wie ein Referenzkopfhörer klingen sollte. Das Resultat ist dann auch ein Hörer, der fast alle anderen Produkte ähnlich neuer Firmen locker schlägt und sich auch vor den teuersten Superluxus-Geräten der etablierten Highend-Hersteller nicht zu verstecken braucht.

Also alles superfein und obergut und zu 100 Prozent zu empfehlen? Nicht ganz. Eine weitere Eigenschaft, die den Hi-X65 als Studiowerkzeug auszeichnet, kann beim reinen Genusshören problematisch werden: Der Kopfhörer hat verdammt viel Druck. High-Excursion-Technologie bedeutet ja nichts anderes, als dass die Treibermembranen sich sehr rasch und sehr viel bewegen. Gekoppelt mit den starken Magneten, die zur Kontrolle und für die Sauberkeit dieser Bewegungen nötig sind, ergibt das eine extrem kraftvolle Wiedergabe (wieder eine Ähnlichkeit zu Studiomonitoren), die nach einiger Zeit für manche Ohren too much werden kann. Ich persönlich würde dazu raten, mit dem Hi-X65 immer wieder mal eine Pause einzulegen und generell nicht allzu laut zu hören. Nicht, dass hier irgendwas verzerren würde bei hohen Lautstärken, aber der reine Schalldruck der 1-Tesla-Magneten wird körperlich spürbar. Das Schöne: Der Hi-X65 muss gar nicht mit voller Power bespielt werden, um seine Stärken zu zeigen. Ich höre mit ihm meist zwischen 40 und 60 Dezibel und das reicht völlig.

Fazit:

Der Hi-X65 von Austrian Audio ist ein einzigartig klingender, extrem detaillierter Kopfhörer für den Gebrauch in Tonstudios sowie für fortgeschrittene Audiophile. Die gebotene Klangqualität sowie die hochwertige Verarbeitung liegen über dem, was man für den Preis normalerweise bekommt. Wegen seiner doch stark für den Profi-Bereich konzipierten Abstimmung und seiner schieren Kraft ist das hier kein Kopfhörer für Anfänger. Wer sich aber schon länger mit dem Hobby befasst, kriegt hier einen Hörer, der Sachen kann, die kein anderer in seiner Preisklasse kann. Und was man noch bekommt: Qualität und Ingenieurswissen Made in Austria.

Foto: Bernhard Torsch
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