Australien hat viel zu bieten. Kängurus, Bier, Riesenkrokodile, Bier, Wüsten, Schafe, Bier… und die Firma Røde Microphones, die, Überraschung, Mikrofone herstellt. Seit Anfang der 90er Jahre konkurriert das in Sydney ansässige Unternehmen mit alten Platzhirschen wie AKG, Sennheiser und Neumann. Røde-Mikrofone sind mittlerweile in vielen Tonstudios rund um die Welt zu finden, von denen großer Plattenfirmen bis zu den Keller-Studios ambitionierten Amateur-Produzenten. Die Mischung aus guter Qualität und fairem Preis überzeugt jährlich rund 60.000 Kunden, bei Røde einzukaufen. Anfang 2022 präsentierten die Australier ihren ersten Kopfhörer, den NTH-100, und der schlug gleich große Wellen in der Audio-Welt. Grund genug, den Hörer, der laut Røde „30 Jahre lang entwickelt wurde“, auszuprobieren. In aller Kürze: Er klingt toll, ist aber sehr schlecht verarbeitet.
Verpackung und Zubehör
Der je nach Händler zwischen 155 und 180 Euro kostende Kopfhörer kommt in einem simplen Pappkarton, in dem sich neben dem Hörer ein samtener Aufbewahrungssack, das 2,4 Meter lange Kabel sowie ein 6,3-Millimeter-Adapter befinden. Auf dem Karton findet sich neben den technischen Daten die stolze Aufschrift „Designed and Made in Australia“. Mich freut es immer, wenn Audioprodukte nicht in China gebaut werden. Nicht, weil China keine tollen Audioprodukte bauen könnte, sondern weil ich persönlich lieber Arbeitsplätze in Demokratien unterstütze als welche in Diktaturen. Glücklicherweise gibt es seit einigen Jahren einen regelrechten Boom an neuen Audio-Firmen rund um die Welt, gerade bei Kopfhörern. Ich nenne da nur Austrian Audio, Ollo Audio, Meze – lauter relativ neue Firmen, die sich auf hochwertige Kopfhörer spezialisiert haben und sich nicht nur gegenüber den traditionellen Herstellern wie Beyerdynamic, Sennheiser, Denon & Co durchsetzen müssen, sondern auch gegen viele Preis-Leistungs-Kracher aus China. Und sie alle konkurrieren natürlich auch miteinander. Für Konsumenten ist das toll, denn die haben nicht nur immer mehr Auswahl, sondern auch den Vorteil, dass die Hersteller schon etwas Besonderes bieten müssen, um am Markt bestehen zu können. Ist der Røde besonders? Schauen wir mal!
Verarbeitung und Tragekomfort
Der Røde NTH-100 ist ein geschlossener Kopfhörer mit Ohrmuscheln, die das Ohr umschließen. Er ist also ein Over-Ear. Die Ohrpolster bestehen aus Alcantara und sind mit einem speziellen Gel befüllt, das eine übermäßige Erwärmung verhindern soll. Der gut gepolsterte Bügel hat einen Metallkern, die Muscheln sind aus (hochwertigem) Kunststoff. Das abnehmbare Kabel kann sowohl an der linken als auch an der rechten Ohrmuschel angeschlossen werden. Das ist vor allem im Studiobetrieb praktisch. Vorbildlich: Die Ohrmuscheln sind auch mit Blindenschrift bedruckt. Insgesamt ist die Qualitätsanmutung sehr gut. Der NTH-100 wirkt stabil, edel und langlebig.
Leider ist er nicht so langlebig, wie erhofft. Nach nicht einmal zwei Monaten, in denen ich den Røde pfleglich behandelt hatte, brach das Plastikstück, mit dem sich die Länge des Kopfbügels justieren lässt, auf einer Seit entzwei. Damit wird der Kopfhörer sofort zum Totalschaden. Das ist absolut unzumutbar und disqualifiziert den NTH-100 nicht nur für den Einsatz im Studio, sondern auch für den Privatgebrauch.
Die Earcups haben eine dreieckige Form, die sich besonders gut an das menschliche Ohr anpassen sollte. Sollte. Die Muscheln sind in Natura nämlich vergleichsweise klein, was bei mir zur Folge hat, dass meine Lauscher gerade noch unter die Cups passen. Zusammen mit dem recht herzhaften Anpressdruck führt das dazu, dass der Hörer vor allem in den ersten Tagen schon nach rund zwei Stunden zu schmerzen beginnt. Bei mir wohlgemerkt. Jeder Kopf ist anders und jedes Paar Ohren auch. Nach einiger Zeit des „Einreitens“ verschwindet dieser negative Effekt aber nach und nach. Aber nie ganz. Das sollte bei einem Kopfhörer, der in erster Linie für die Arbeit im Studio und somit für stundenlanges Tragen gemacht wurde, nicht passieren. Das „kühlende Gel“ hat nicht wirklich eine spürbare Kühlwirkung, aber richtig heiße Ohren kriegte ich nach sehr langen Sessions auch nicht.
Insgesamt gebe ich der Verarbeitung 1/10 Punkte und dem Komfort 6/10.
Der Klang
Der Røde NTH-100 ist recht dunkel abgestimmt. Vor allem, wenn man wie ich eher „helle“ Hörer wie den AKG-K801, den Beyerdynamic DT-1990 oder den Austrian Audio HI-X65 gewöhnt ist, ist der erste Eindruck des Røde geradezu schockierend. Alles wirkt dumpf und finster, Aber trotzdem fallen einem schon beim ersten Hören Details in den Mitten auf, die man zuvor nie gehört hat. Und nach ein paar Tagen, wenn sich das Ohr an die Signatur des Røde gewöhnt hat und dessen Treiber sich ein bisschen freigespielt haben, fängt der Genuss an. Ich würde das damit vergleichen, ein Leben lang Milchschokolade gegessen zu haben und dann zum ersten Mal eine dunkle mit hohem Kakao-Gehalt. Zuerst vermisst man den sofortigen süßen Kick, aber nach und nach lernt man die Qualität der echten Schoko zu schätzen.
Die dunkle Abstimmung des Røde bedeutet nicht, dass der keine Höhen wiedergeben würde. Die Höhen sind alle da, aber sie sind nicht so betont wie bei anderen Hörern. Der NTH-100 hat einen trockenen, kräftigen Bass, vor allem im Oberbassbereich, was ihm einen gewissen Spaßfaktor verleiht, aber beim Einsatz zum Mixen bedacht werden muss, denn sonst werden die Mixe zu hell. Die wirklichen Stars der Røde-Show sind aber die Mitten. Die sind ungeheuer natürlich, intim und detailliert. Meiner Meinung nach spielt der Røde hier in der obersten Liga mit und steht den besten „Mitten“-Kopfhörern wie zB dem Sennheiser HD 650 in nichts nach. Es ist verblüffend, was der Røde im Bereich zwischen ungefähr 400 bis 4000 Hertz an tief im Mix verborgenen Details darstellen kann!
Die Abbildung von Stimmen ist, neben der ebenfalls sehr guten von Percussion, der Grund, warum man den Røde NTH-100 auch als Audiophiler im Blick haben sollte. Die tiefen Frequenzen sind auch beeindruckend und die Höhen sehr klar (sobald man sich an die dunkle Abstimmung gewöhnt hat), aber unter 500 Hertz und über 4000 Herz stellt sich kein sofortiger Wow-Effekt ein. Auch sonderlich schnell ist der NTH-100 nicht. Transienten geben etwa Grado-Kopfhörer oder auch die von Austrian Audio wesentlich rasanter wieder. Aber man verstehe mich nicht falsch, beim Røde hallt auch nichts über Gebühr nach. Es gibt nur noch „schnellere“ Hörer. In puncto Dynamik wiederum performt der Australier überdurchschnittlich. Lautstärkesprünge werden originalgetreu ans Ohr weitergereicht. Nicht übertrieben, aber klar besser als von den meisten anderen geschlossenen Mittelklasse-Kopfhörern. Die Stärke des Røde bei der Stimmwiedergabe prädestiniert ihn als Werkzeug für Podcaster, Youtuber und andere Produzenten von stimmlastigen Inhalten.
Die Räumlichkeit geht für einen geschlossenen Hörer voll in Ordnung. Im Vergleich zu vielen offenen Kopfhörern wirkt sie zunächst eng und stark fokussiert, aber je mehr man den Røde mit verschiedenen Musikstücken füttert, desto öfter überrascht er einen mit Sounds, die von „links außen“, „rechts unten“ usw zu kommen scheinen. Die „Bühne“ des NTH-100 ist also gelungen. Damit eignet er sich auch zum Gucken von Filmen und fürs (nicht professionelle) Gamen.
Der Røde gibt laut Herstellerangaben alles zwischen 5 Hertz und 35 Kilohertz wieder und hat eine Impedanz von 32 Ohm. Man braucht also keinen besonders starken Verstärker, um den NTH-100 sehr laut aufspielen zu lassen. In meinem Test habe ich bemerkt, dass der Røde bei jeder Lautstärke seine Contenance bewahrt und weder bei hoher Dezibelzahl verzerrt noch bei niedriger langweilig wird.
Klangwertung: 8/10
Fazit
Mit dem NTH-100 hat die australische Firma Røde einen hervorragenden klingenden geschlossenen Kopfhörer auf den Markt gebracht, der eine ganz eigene Klangcharakteristik hat, bei dessen Qualitätskontrolle aber gepfuscht wurde.