Die in schwindelerregendem Tempo stattfindende Faschisierung einer Gesellschaft nach der anderen kann nicht verstehen, wer den Faschismus nicht versteht. Wer meint, Faschismus sei nur der Versuch, in Krisenzeiten die Arbeiterklasse zu neutralisieren, erkennt zwar das Motiv einiger Kapitalisten, den Faschismus zu unterstützen, verkennt aber das Wesen seines Gegners und kann diesen daher auch nicht bekämpfen. Folgende kurze Punktation ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll helfen, die Debatte auf ein höheres analytisches Niveau zu heben.
-Faschismus ist die Selbstversicherung der fragilen Männlichkeit. Faschismus bekämpft und vernichtet alles, was der Faschist an der eigenen Sexualität verstörend oder abstoßend findet und externalisiert diese Aspekte durch Projektion auf sexuelle Minderheiten sowie auf imaginierte Verschwörungen, die zur Absicht hätten, die „richtige“ Sexualität eines „Volkes“ durch „Perversionen“ zu untergraben.
-Faschismus ist Anti-Psychoanalyse. Die Psychoanalyse will, grob vereinfacht gesagt, unbewusste Konflikte bewusst machen und so zu deren Auflösung und damit zur Entneurotisierung beitragen. Der Faschismus arbeitet genau gegenteilig und legt großen Wert darauf, dass das Unbewusste unbewusst bleibe, denn dort, am Unbewussten, setzt seine Propaganda an, die nur bei entsprechend neurotischen Menschen nachhaltig verfangen kann. Faschismus will also stets die ungelösten inneren Konflikte verstärken, die Neurotisierungen verschlimmern, auf dass die gequälte Kreatur ihr Heil dann im Kollektiv der Nation finde, die im Führer als mythische Erlösergestalt ihre Personifikation hat.
-Faschismus ist eine Perversion des Hegelianismus. Vor allem die Phänomenologie des Geistes wird von Faschisten derart fehlinterpretiert, dass die schmerzhaften Spannungen, unter denen Gesellschaften nach und nach von der naiven Wahrnehmung zur Vernunft und damit bis hin zu Erkenntnis und Verständnis des Wesens der Geschichte und ihrer selbst aufsteigen können, nicht etwa ein dauerhafter Prozess voller Rückschläge und neuer Anfänge sei, sondern ein metaphysisch zielgerichteter und eschatologischer. Am Ende, so meinen Faschisten, steht das von Fehlern befreite Volk, die fehlerlose Wirklichkeit, das und die den wahren Willen Gottes (die meisten Faschisten glauben an einen solchen, ob wörtlich oder symbolisch) als harmonische Gemeinschaft erfüllt, einer Gemeinschaft, die zunächst von „satanischen“ oder „artfremden“ Elementen gesäubert werden müsse.
-Faschismus verherrlicht die Gewalt und das Menschenopfer. Damit eine Gesellschaft im faschistischen Sinne gesunden kann, muss sie „gereinigt“ werden, Dieser Reinigungsprozess findet statt in Form des Ausschlusses, der Verfolgung und schließlich der Vernichtung all dessen, was die Identität als Volksgemeinschaft gefährden könnte. Jedes Verbrechen, jeder Genozid ist als Mittel, dies zu erreichen, nicht nur erlaubt, sondern das notwendige Opfer eines Todeskultes, das allerdings nicht der Faschist selber bringt, sondern das zu bringen er andere mit Gewalt zwingt.
-Faschismus ist die totale Gemeinschaft des Identischen. Da der Faschismus, der sich metaphysisch definiert und „legitimiert“, von sich selbst annimmt, das absolut Gute im Kampf gegen das absolut Böse zu verkörpern, muss jeder noch so kleine Dissens unterbunden werden. Deswegen legen Regierungen, die sich dem Faschismus annähern oder vom faschistischen Denken infiziert sind, so großen Wert darauf, selbst das kleinste Druckwerk, das nur wenige tausend Leser hat, zu kriminalisieren und zu verbieten. Deswegen gelten unter faschistischen oder faschistoiden Verhältnissen nicht „die Arbeiter“ als die größten Feinde, sondern die Zivilgesellschaft, was erklärt, warum die Faschisten unserer Tage so großen Wert darauf legen, NGOs und zivilgesellschaftliches Engagement zu dämonisieren und zu kriminalisieren. Der selbst denkende und für sich selbst moralisch entscheidende Mensch ist im faschistischen Denken der Feind.
-Faschismus funktioniert nicht ohne den „starken Mann“, der, einem mythischen Wesen gleich, aus dem Dunkel der Geschichte tritt und zielgerichtet die Macht an sich reißt, weswegen er sie laut faschistischem Denken auch verdient hat. Dieser Führer ist männlich und hart, verletzend und brutal, denn er personifiziert eine Ideologie, die alles weiche und weibliche verachtet und hasst. Dieser Führer kann alles, weiß alles, wendet alles zum Guten. Er ist der Größte und der Beste und sagt dies auch selbst bei jeder Gelegenheit über sich selbst. Ist er einmal an der Macht, sind wahrhaft demokratische Wahlen nicht mehr notwendig, ja sie sind von großem Übel, da sie die Säuberung der Gesellschaft verzögern oder gar aufhalten könnten. Der faschistische Führer muss Wahlen deswegen nicht gänzlich abschaffen, aber er verwandelt sie in Rituale, in denen die Volksgemeinschaft dankbar zum Ausdruck bringt, wie sehr sie mit dem Führer übereinstimmt. Rituale folgen einem strikten Drehbuch, weswegen Wahlen unter faschistischen oder faschistoiden Verhältnissen nie überraschend ausgehen, da sie mit einem Mix aus Wahlfälschung und totaler Kontrolle über alle Medien kaum anders ausgehen können als mit der Affirmation des Führers.
-Faschismus ist die Antithese zu Liberalismus und Marxismus. Er lehnt die Idee der Gleichwertigkeit der Menschen rundweg ab und kann jede Abweichung vom totalen Anspruch, alle Bereiche der menschlichen Existenz zu kontrollieren und zu bestimmen, nur als Kriegserklärung wahrnehmen. Der Faschismus lehnt die materialistische Welterklärung des Marxismus ab, ja sieht ihn als Attacke auf die von ihm als wahr vorausgesetzte göttliche Ordnung der Dinge, da der Faschismus eine metaphysische Bewegung ist. Deswegen verfolgen, foltern und morden Faschisten aus nichtigsten Anlässen, daher eskaliert ihre Gewalttätigkeit von Verbrechen zu Verbrechen, denn es geht dem Faschisten immer um alles, um mehr noch als weltliche Macht, da der Faschist sich als nichts weniger denn als Vollstrecker des „göttlichen“ Willen sieht oder, geht es nach einigen faschistischen Ideologen, sogar als Korrektor göttlicher Fehler, denn Faschisten betrachten, wie schon erwähnt, die Welt als Ort, in dem die „wahre“ göttliche Ordnung von „satanischen“ Kräften pervertiert worden sei.