„Gerhard Dörfler – wer sonst?“ fragen derzeit unzählige Plakate in Kärnten. Als ich die sah, dachte ich spontan: „Jeder“. Sogar mein Hund wäre ein besserer Landeshauptmann als dieser Clown, der noch vor wenigen Monaten ein Verbot von Wahlkampfplakaten gefordert hatte („Die Menschen kotzt es regelrecht an, ständig unsere Gesichter sehen zu müssen. Das ist eine Zumutung.“) und nun von tausenden solcher Plakate grinst. Aber ich will mich hier nicht über die Wortbrüchigkeit von Freiheitlichen aufregen, denn die gehört bei denen zur charakterlichen Grundausstattung. Es ist die Ästhetik der blauen Werbung, die ich bemerkenswert finde, denn ob es der Dörfler ist oder FPÖ-Chef Strache, sie alle treten seit geraumer Zeit nur mehr in Trachten oder Pseudotrachten auf und schwimmen damit auf einer Welle regressiver Zuwendung zum vermeintlich „Echten“ und „Ursprünglichen“, die mittlerweile, einem popkulturellen Tsunami ähnlich, immer mehr Lebensbereiche überschwemmt. Wie üblich hatten die Werbemenschen den Braten als erste gerochen und diese eigenwillige Sehnsucht nach so etwas wie Identität in Zeiten der Globalisierung in entsprechende Kampagnen verpackt. Der Discounter Hofer bewirbt seine Bio-Linie mit dem Slogan „Zurück zum Ursprung“, Konkurrent Lidl zog mit „Ein gutes Stück Heimat“ nach, alles illustriert mit Bildern von Lederhosen und karierten Hemden und Almwiesen, und kein Werbesport für Bier kommt mehr ohne ländliche Scheinidylle aus. Die Begriffe „Ursprung“ und „Heimat“ sollen im Konsumenten die Sehnsucht nach einer untergegangenen Welt wecken, nach einem überschaubaren Leben voller „Echtheit“ und „Urigkeit“, das es so nie gegeben hat. In der Realität war das ländliche Leben eines von Schweiß und Tränen, strengen Hierarchien, sozialer Undurchlässigkeit, Entfremdung, totaler sozialer Kontrolle samt strenger Bestrafung durch Kirche und Gutsherren, kurz: ein Leben in Elend, Not, Rückständigkeit, Intoleranz und Hunger. Und Trachten wurden außer an hohen Feiertagen auch keine getragen. Nur weil das alles vergessen und verdrängt wurde, kann mit dem Bezug auf ein angeblich so unkompliziertes Landleben Kasse gemacht werden und können politische Strömungen mit diesen Sehnsüchten für sich werben.
Harmlos ist das leider nicht, denn hinter den hübschen Bildern von Wiesen und Wäldern und glücklichen Dorfbewohnern getarnt macht sich der völkische Nationalismus der „Identitären“ breit, dieser neudoofen Spielart des alten Rechtsextremismus, die ihre rassistischen, antisemitischen und antiislamischen Ansichten ganz modern per Facebook, Twitter und Flashmob unter die Leute zu bringen sucht. Den Soundtrack dazu liefern „volkstümliche“ Musikanten wie Andres Gabalier, der auf einem Plattencover als menschliches Hakenkreuz posiert (und trotzdem seltsam voreilig von jedem nazistischen Verdacht freigesprochen wurde), oder die Südtiroler Band Frei.Wild, die in ihren Texten Menschen, die nach Meinung der Gruppe nicht intensiv genug „die Heimat“ lieben, anraten, diese doch zu verlassen und sich, auch das ganz im Trend der Neuen Rechten, über „Gutmenschen und Moralapostel“ beklagt. Der kommerzielle Erfolg dieser Heimattümler lässt schaudern, und es ist eine bittere Ironie, dass Musiker wie Broadlahn oder Hubert von Goisern, die einst den Rückgriff auf Elemente der alpinen Volksmusik salonfähig gemacht hatten, längst nur mehr eine Randerscheinung im Musikzirkus sind. Deren hoch interessante, im Wortsinn multikulturelle Mischung aus wirklicher Volksmusik, Jazz, Pop und Weltmusik ist das genaue Gegenteil von dem, was die „Identitären“ und andere nach Reinheit gierenden Figuren wollen. Die haben es, wie alle Rechtsextremen und wie leider immer mehr von den Ansprüchen des globalen Kapitalismus Überforderte, gerne einfach und übersichtlich und „pur“. In Anlehnung an Marx´ berühmtes Diktum, wonach die Religion „der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt“ sei könnte man den aktuellen Trachten- und Ursprungs – und -Echtheitsfimmel als das neue Opium des Volkes sehen – oder auch nur als den Geschmack der Geschmacklosen.