„Standard“-Kommentator Hans Rauscher hat den Vizepräsidenten der Österreichischen Richtervereinigung, Manfred Herrnhofer, scharf kritisiert, weil dieser, bezogen auf Kritiker der Verfahrensführung beim Wiener Neustädter „Tierschützerprozess“ sagte: „Wir sind nicht in der Türkei, wir sind nicht im Sudan, wir sind in Österreich. Da wird menschenrechtskonform verhandelt.“ Und weil Herrnhofer angeregt hat zu überprüfen, ob die Behauptung der Strafrechtswissenschafterin Petra Velten, wonach dieser Prozess „unvereinbar mit der Strafprozessordnung und der Menschenrechtskonvention“ sei, eventuell selbst einen Straftatbestand beinhalte. Da Rauscher nicht juristisch, sondern emotional argumentiert, will er Herrnhofer sicherheitshalber in die rechte Ecke rücken, indem er ihn mit folgendem, freilich völlig aus dem Kontext gerissenem Satz zitiert: „Ich komme aus einem Bundesland, in dem der Abwehrkampf zur kulturellen Identität gehört, wir haben Erfahrung im Umgang mit übermächtig scheinenden Gegnern“. Für den gemeinen „Standard“-Leser, der nicht anders denken kann als in schwarzweiß, ist damit alles klar. Eine böse rechte Justiz verfolgt edle Tierfreunde, die mutmaßlich nichts anders getan haben, als nur ein bisserl zu erpressen und zu drohen und zu stalken, und die man daher also besser heilig sprechen sollte statt in einem Prozess über ihre Schuld oder Unschuld zu verhandeln, weil ja, so rein gefühlsmäßig, pöse Pelzhändler eh keine Rechte haben sollten, und dann kommt noch so ein ein urböser KÄRNTNER daher und behauptet, ganz entgegen dem Gefühl der bobogrünen Szene, es ginge beim Prozess gegen die Helden der Veganer mit rechtsstaatlich korrekten Dingen zu. Dass der sich das traut, obwohl die „Standard“-Leserschaft das Urteil längst gefällt und die Angeklagten im neuen überrechtstaatlichen Verfahren namens „Abstimmung mit dem Bauch per Leserbrief“ freigesprochen hat, das ist doch wohl empörend, oder?
Blöd ist nur, dass Manfred Herrnhofer gar kein finsterer rechter Richter mit Burschenschafterschmiss ist, sondern ganz im Gegenteil ein fortschrittlich eingestellter Jurist, der sich mit seinen klaren Absagen an die Anmaßungen der FPÖ und Jörg Haiders, den Rechtsstaat für ihre Zwecke zu hijacken bzw diesen durch populistische Unrechtsmaßnahmen auszuhebeln, einen Ehrenplatz auf der Schwarzen Liste der Rechtsextremen erkämpft hat. Es war Herrnhofer, der öffentlich „nein“ gesagt hat, als Haider in Kärnten versuchte, Polizei und Justiz in Personalunion zu spielen und den demokratischen Rechtsstaat zu umgehen, indem er nicht rechtskräftig verurteilte Asylbewerber auf der Saualm internieren lassen wollte. Es war Herrnhofer, der immer wieder Justizschelte und Einmischungen seitens BZÖ und FPÖ schärfstens zurückwies. Und weil Herrnhofer sich den „Luxus“ erlaubt, an die Überparteilichkeit des Rechtssystems zu glauben, reagiert er auch auf Einmischungen von anderen Parteien oder Interessengruppen in die Arbeit der Justiz allergisch.
Es ist jedermanns Recht, die Prozessführung im „Tierschutzverfahren“ zu kritisieren. Es ist aber nicht jedermanns Recht zu unterstellen, diese Prozessführung sei mit der Strafprozessordnung und den Menschenrechten unvereinbar. Denn dies sind allerschwerste Kaliber, mit denen da auf einen laufenden Prozess gefeuert wird, und nicht nur auf diesen, sondern auf die Justiz als solche. Und das ist der Punkt, den Rauscher nicht kapiert, und den die Leserschaft des „Standard“ nicht kapiert: Selbstverständlich kann man bemäkeln, dass die Richterin im Tierschutzprozess ein wenig schnippisch wirkt, dass sie sich vielleicht ein bisserl zu sehr als strenge Domina aufführt. Aber agiert sie „gegen die Strafprozessordnung“ und „gegen die Menschenrechtskonvention“? Nein, tut sie nicht. Man kann das Benehmen der Dame unsympathisch finden, und man kann das auch sagen, aber so zu tun, als würde hier ein Schauprozess gegen Dissidenten stattfinden, ist lächerlich. Allen Angeklagten stehen alle Rechtsmittel offen, und nur weil einem Angeklagten mal das Wort abgeschnitten wird, bedeutet noch lange nicht, dass der Prozess vergleichbar wäre mit einer Farce, wie sie zB im Iran Alltag ist.
Rauscher schreibt weiter: Altgediente Gerichtssaalberichterstatter können stundenlang über inkompetente, unfaire, populistische und unter dem Einfluss von vergorenen Substanzen stehende Richter erzählen. Aus vielen Prozessberichten kann man mit einiger Aufmerksamkeit skurrile bis ungeheuerliche Verhaltensweisen von Richtern und Staatsanwälten herauslesen. Besonders Richter(innen) betrachten sich oft als unanfechtbare Instanzen, die im Gerichtssaal schalten und walten können. Der Ton, der da angeschlagen wird, ist manchmal unerhört. Und das ist teilweise wahr. Ich war ja selber Gerichtsberichterstatter, und ich habe Verfahren miterlebt, in denen sich Richter und Staatsanwälte gehörig im Ton vergriffen und wo das Urteil oft schon zu Beginn des Prozesses festzustehen schien, vor allem dann, wenn es sich bei den Angeklagten um Berufsverbrecher handelte. Und ich habe Verfahren gesehen, in denen die Urteile meinem Bauchgefühl zuwider liefen. Was ich aber nie erlebte waren Richter, die, wie es Rauscher reichlich untergriffig behauptet, besoffen und mit böser Absicht gegen die Menschenrechtskonvention agierten. Ich habe mies gelaunte Richterinnen erlebt, Richter mit unnötigem Sarkasmus und Richter mit offensichtlich vorgefassten Meinungen. Aber Richter, die absichtlich die Menschenrechte eines Angeklagten missachtet hätten, sind mir nicht untergekommen. Das bedeutet nicht, dass es nicht Richter, Staatsanwälte und Polizisten gäbe, die, pardon, echte Arschlöcher sind, nur: Die, die so sind, sind erstens eine Minderheit und zweitens nicht allmächtig, denn es gibt da eben so Sachen wie die nächste Instanz und den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.
Manfred Herrnhofer, der von Rauscher als Verteidiger einer irgendwie bösen Justiz angeschwärzt wurde, ist einer jener Richter, die ich gerne hätte, sollte ich je in die Situation kommen, mich vor Gericht wiederzufinden. Er lässt in seinen Verhandlungen schon mal ein zitables scharfes Bonmot vom Stapel, ja, aber er bleibt immer fair und extrem korrekt. Wer die Prozesse, bei denen Herrnhofer Vorsitzender ist, mitverfolgt, erkennt sogar eine Tendenz zu einer möglichst humanen und sozial sinnvollen Auslegung der strafrechtlichen Möglichkeiten. Herrnhofer ist keiner, dem es Spaß macht, arme Teufel zu möglichst harten Strafen zu verknacken. Er ist aber auch keiner, der den Rechtsstaat, egal in welche Richtung, beugen mag. Hans Rauscher hätte sich die „Mühe“ machen sollen, sich mal mit Herrnhofer zusammenzusetzen und zu reden. Er hätte dann zwar keinen so knackig justizkritischen Kommentar schreiben können, aber vielleicht ein bisschen was über den Idealismus und den hohen ethischen Anspruch jenes Juristen lernen können, den er da so billig und tatsachenwidrig als Vertreter einer „rechten“ Justiz punziert hat.