Völkisches Denken ist ausschließendes Denken. Wer zum „Volk“ gehört und wer nicht, entscheiden die Völkischen nicht nach rechtsstaatlichen, sondern nach vormodernen Kategorien wie „Rasse“, Religion und der Bereitschaft des Individuums, sich der „Volksgemeinschaft“ unterzuordnen. Stefan Brändle, Frankreich-Korrespondent der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, hat in einem Kommentar für sein Blatt nun nahezu mustergültig gezeigt, wie dieses Denken funktioniert: „Ja, diesmal hat es das Pariser Volk wirklich getroffen. Denn jetzt sind nicht vorgewarnte Satiriker, Juden oder Polizisten getroffen worden, sondern unbeteiligte Normalbürger, junge Konzertbesucher und Bistrobesucher, die eiskalt und methodisch niedergeschossen wurden, im Bataclan wie in einer Massenhinrichtung.“ Die Gruppen, die Brändle nicht zum „Pariser Volk“ rechnet, sind die klassischen Feindbilder völkisch Denkender. Juden, freche Publizistinnen und Mitglieder der Sicherheitskräfte des liberalen Staates, die Juden und freche Publizisten vor den Völkischen schützen. Brändle würde den Vorwurf, Antisemit zu sein, sicherlich mit größer Empörung zurückweisen und darauf mit Klagsdrohungen reagieren. Ich halte ihn auch nicht für einen bewussten Antisemiten. Aber er ist professioneller Journalist, er weiß also, was er schreibt, und wenn er Juden nicht zum Pariser Volk zählt, dann steht dahinter eine Weltsicht, in der Juden keine „echten“ Franzosen, Deutsche usw. sein können. Beachtenswert auch, dass Brändle unterstellt, Juden, Satiriker und Polizisten trügen eine gewisse Mitschuld daran, wenn man sie angreife. Wie sonst ist es zu verstehen, die von diesen Gruppen unterschiedenen „Normalbürger“ seien „unbeteiligte“?
Im „Spiegel“ erschien am selben Tag ein Kommentar von Arno Frank, in dem dieser zum letztlich gescheiterten Versuch des NDR Stellung nahm, den homophoben Verschwörungstheoretiker Xavier Naidoo für Deutschland beim Songcontest antreten zu lassen. Mitten in dem seltsam aggressiv wirkenden Text dann folgendes: „Anderswo mag der ESC eine patriotische Angelegenheit sein, hierzulande ist er ein eher queeres Spektakel. Ein Zirkus ohne künstlerische Bedeutung, aber nicht ohne Zauber.“ Schwule, Lesben und Transsexuelle, so legen dieser Sätze nahe, sind zwar unterhaltsam, aber richtige Kunst können sie genauso wenig wie Patriotismus. Patriotismus und Hochkultur sei nämlich was für echte Kerls, nicht für Zirkusattraktionen wie LGBT-People.
Diese beiden Kommentare sagen viel aus zum Stand der Dinge. Wo man Juden abspricht, zum „Volk“ zu gehören und Homosexuellen, patriotisch sein zu können, ist das Denken wieder in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts angekommen oder hat diese nie verlassen. Man versucht, eine völkische Identität über den Ausschluss von Minderheiten zu konstruieren.