Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl ließ heute im Ö1-Morgenjournal durchblicken, dass er sich durchaus vorstellen könne, lästige Demonstrantinnen einfach abzuknallen. „Die Frage ist, ob man diesen Gewalttaten entschiedener entgegentreten hätte müssen, ob man nicht, anstatt zu versuchen zu deeskalieren, bereits mit Waffengebrauch entgegentreten hätte müssen“, sagte der Herr Präsident. Im Jargon der Polizei ist mit Waffengebrauch stets der Schusswaffengebrauch gemeint. Tränengas, Gummiknüppel, Wasserwerfer, Elektroschocker usw. werden in diesem Jargon als „gelindere Mittel“ bezeichnet. Während die Führungsriegen der nicht rechtsextremen Parteien zusammen mit liberalen Journalistinnen und Aktivisten brav das von FPÖ und Boulevardmedien geregelte Spiel des großen Distanzierens von 8.000 antifaschistischen Demonstranten, unter denen sich auch ein paar Randalierer befanden, mitspielen, lässt jener Polizeichef, der für den missratenen Einsatz der Sicherheitskräfte verantwortlich ist, Erschießungsfantasien freien Lauf. Er macht dies am 80. Jahrestag der Morde von Schattendorf, wo am 30. Jänner 1927 Faschisten einen Mann und ein Kind erschossen. Er tritt nicht zurück und keine Politikerin, kein Zeitungskommentar fordert bislang seinen Rücktritt. Ich bin kein Freund des „Schwarzen Blocks“ und ich lehne Gewalt ab, aber gegen Leute, die ein paar Scheiben einschlagen, mit Schusswaffen vorgehen zu wollen, wäre nicht nur abenteuerlich unverhältnismäßig, es wäre kriminell. Das wäre Staatsterrorismus schlimmster Sorte.
Äußerungen wie jene Pürstls und die bereitwillige Übernahme des rechtsextremen Narrativs von den bösen Gewaltdemonstrantinnen und den harmlosen Burschenschaftern durch fast die gesamte Politik- und Presselandschaft zeigen ebenso wie die Kriminalisierung von Aktivistinnen, welche die neue Europäische Ordnung der autoritären Postdemokratie samt mörderischem Außengrenzenregime, mörderischer Austeritätspolitik und der zunehmenden Verschiebung jeder fundamentalen Systemkritik ins Strafrecht noch nicht verinnerlicht haben, dass die Zeit der relativen Freiheit in Europa zu ihrem Ende kommt. Dass, dies sei am Rande bemerkt, jene EU-Staaten, die zusehends autoritär gegen innere Kritikerinnen und jene, die ihre oft genug menschenfeindlichen Realpolitiken nicht akzeptieren, vorgehen, gleichzeitig Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine vor mit Menschenrechtsfloskeln nur so klingelnde Ratschläge erteilen, ist doppelt kein Widerspruch. Einerseits ist die Menschenrechtslage in vielen kritisierten Ländern ja tatsächlich bedenklich, andererseits wurde das Eingreifen kolonialer Mächte in die Belange zur Ausbeutung vorgesehener Regionen immer schon mit besten Absichten behübscht.