Schlagwort: Rechtsextremismus

Bis dann einer zusticht: Im Gedenken an Pawel Adamovicz

Der Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz ist tot, ermordet auf offener Bühne, wo er eine alljährliche Spendensammlung zugunsten kranker und sozial benachteiligter Kinder moderiert hatte. Der Täter ist ein 27-Jähriger, der fünf Jahre wegen bewaffneten Raubes im Gefängnis gesessen hatte und der nach dem Mord brüllte, er habe sich nun an Adamovicz‘ früherer Partei „Bürgerforum“ gerächt, da diese ihn in den Knast gebracht habe, wo er angeblich „gefoltert“ worden sei.

Wenige Tage vor dem Mord strahlte das polnische Staatsfernsehen TVP eine Episode der satirischen Serie „Minęła Dwdziesta“ aus, in der die Macher die Benefizveranstaltung verhöhnten. Zu sehen waren diverse Oppositionspolitiker, die einander haufenweise Geldscheine zusteckten. Auf den Geldscheinen waren Davidsterne abgedruckt.

Adamowicz war einer der letzten einflussreichen liberalen Politiker Polens. Den Hass der regierenden PIS und der mit der Regierungspartei verbandelten außerparlamentarischen extremen Rechten hatte er sich zugezogen, weil er sich nach einer Attacke auf die Danziger Synagoge mit deutlichen Worten an die Seite der jüdischen Bevölkerung gestellt hatte, weil er Aufmärsche der neofaschistischen Organisation „Nationalradikales Lager“ schärfstens verurteilte (und in Danzig zu verhindern versuchte) und weil er als bislang einziger Bürgermeister einer polnischen Großstadt an einer Gay-Pride-Parade teilgenommen hatte.

Adamowicz stand für alles, was Polens rechtsnationale Regierung und der Morast aus Klerikalfaschisten und Ultranationalisten, auf dem sie gedeiht, hassen. Er hatte sich im Laufe seiner politischen Karriere vom Rechtsliberalen zum Sozialliberalen gewandelt, war ein Befürworter der Europäischen Union, sprach sich immer wieder gegen Antisemitismus, Homophobie und Sozialdarwinismus aus und verkehrte gerne mit Künstlerinnen und Intellektuellen.

Im Gleichklang mit der Regierung hetzen rechtsradikale Medien wie „Radio Maria“ oder die Website „wPRawo“ seit Jahren gegen den ihnen verhassten Liberalismus und gegen alles, wogegen die rechte Internationale auch in Ungarn, den USA oder Brasilien hetzt: „Globalisten“, „Kulturmarxismus“, „Atheismus“, „Gendertheorie“, „George Soros“ – jeden Tag wird auf diese Feindbilder verbal geschossen. Auf den Straßen marschieren Zehntausende in schwarzen Uniformen und brüllen „Wir wollen Gott“ und „Für ein judenfreies Polen“, und sie wissen die Regierung dabei auf ihrer Seite.

Vielleicht war der Mörder von Adamowicz wirklich nur ein psychisch angeknackster Ex-Sträfling, der sich für vermeintliches Unrecht rächen wollte. Vielleicht ist es aber auch dieses immer hysterischer werdende Klima des Hasses und des überkochenden paranoiden Wahns rechtsextremer Ideologieproduktion, das psychisch instabile Personen ermutigt, zur mörderischen Tat zu schreiten? Wie lange kann man politische Gegner dämonisieren, wie oft kann man einen „Bürgerkrieg“ herbei brüllen, bis dann einer zum Messer greift und zusticht?

Kann die FPÖ den Juden jemals verzeihen?

Ein imaginäres Interview, basierend auf einem echten

Journalist: Lieber Herr FPÖ-Politiker XYZ. Ihre Partei wurde von der jährlichen Gedenkfeier im ehemaligen KZ Mauthausen ausgeladen. Ein Auftritt von FPÖ-Politikern dort wäre „eine erneute Demütigung für die Überlebenden“, so das Mauthausen-Komitee. Können Sie das nachvollziehen?

FPÖ-Politiker XYZ: Nein, kann ich nicht. Ich bin zutiefst gekränkt und frage mich nun wirklich, ob wir den Juden je verzeihen können, was sie unseren Vätern und Großvätern angetan haben. Irgendwann muss doch auch mal Schluss sein mit den alten Geschichten!

Journalist: Wie bitte? Sechs Millionen Juden wurden ermordet und…

FPÖ-Politiker XYZ: Legen Sie mir keine Worte in den Mund! Ich sage es in aller Deutlichkeit: Ich finde Straflager wie Mauthausen entsetzlich. Wir lehnen die Nationalsozialisten, obwohl sie eine ordentliche Beschäftigungspolitik machten, ebenso klar ab wie den Bombenterror der Alliierten.

Journalist: Straflager? Das waren Vernichtungslager! Straflager würde implizieren, dass die dort Inhaftierten eine Straftat begangen hätten. Und die Bomben kamen, weil Hitler zuerst ganz Europa überfallen hat.

FPÖ-Politiker: Nun ja, Jude zu sein war damals halt ebenso strafbar wie Opposition zur Regierung. So waren halt die Gesetze und wer bin ich, gesetzestreue Bürger von damals zu verurteilen? Und Krieg ist immer schrecklich, ganz gleich, wer ihn auch beginnt.

Journalist: FPÖ-Chef Strache, FPÖ-Klubobmann Gudenus und FPÖ-Innenminister Hofer haben vor kurzem behauptet, der jüdische Milliardär George Soros sei für die Flüchtlingsströme verantwortlich. Eine klassische antisemitische Verschwörungstheorie.

FPÖ-Politiker XYZ: Aber nein! Dass wir uns aus hunderten Milliardären, die Lobbyarbeit finanzieren, ausgerechnet einen jüdischen ausgesucht haben, um ihm die Schuld für die Flüchtlinge zu geben, hat nicht das Geringste mit Antisemitismus zu tun. Es geht uns doch nicht um die Religionszugehörigkeit dieses Herren, der keine Heimat kennt, sein raffendes Kapital vermehrt und wie ein Krake die Welt mit seinen raffgierigen Fangarmen im Griff hat, sondern ausschließlich um Fakten. Wie sie wissen gibt es fundierte Gerüchte und glaubwürdige Lügen, die Herrn Soros eine Beteiligung an der Flüchtlingskrise nachweisen.

Journalist: Was ist mit den Liederbüchern der Burschenschaften, in denen von der Ermordung einer weiteren Million Juden geschwärmt wird? Was ist mit den FPÖ-Inseraten in Zeitschriften wie der „Aula“, in der KZ-Überlebende als „Landplage“ und „Kriminelle“ verunglimpft wurden?

FPÖ-Politiker: Wenn sie nicht Fake News verbreiten würden, sondern ordentlich recherchiert hätten, dann wüssten sie, dass in dem Liederbuch keineswegs gefordert wird, noch eine Million Juden zu ermorden. Das Büchlein, mit dem wir übrigens nichts zu tun haben, sagt lediglich, die Juden hätten den Holocaust selbst inszeniert, um danach Israel geschenkt zu kriegen. Die „Aula“ hat mit uns rein gar nichts zu tun, obwohl sie sich selbst „das freiheitliche Magazin“ nennt und wir dort inserieren wie die Blöden. Außerdem muss man in einer Demokratie auch Stimmen aushalten, die sich nicht dem Diktat der Politischen Korrektheit beugen.

Journalist: Sie verstehen also nicht, dass KZ-Überlebende sich durch Bezeichnungen wie „Landplage“ oder „Kriminelle“ gedemütigt fühlen?

FPÖ-Politiker XYZ: Wirklich nicht! Sie, da gibt es Sachen, die die Mainstream-Geschichtsschreibung bis heute totschweigt. Ich selber kenne einen Bauern, dem KZ-Überlebende kurz nach ihrer Befreiung ein paar Äpfel gestohlen haben. Der Mann war danach ein seelisches Wrack. Es gab eben auch deutsche Opfer des Holocaust, aber über die redet mal wieder keiner. Das ist typisch für die linken Brunnenvergifter, dass sie nie über die Opfer reden wollen.

Journalist: Ich danke ihnen für dieses, äh, erhellende Interview.

FPÖ-Politiker XYZ: Immer gerne, aber keine Lügengeschichten drucken wie sonst immer, gell?

„Fire and Fury“: Die Rechten und die Zerstörung der Wirklichkeit

Im Jahr 2000 kündigte der damalige n-tv-Talkmaster Erich Böhme vor einer Sendung, in der er selbst, Freimut Duve sowie Ralph Giordano Jörg Haider ins Kreuzverhör nehmen wollten, an: „Wir werden den Mythos Jörg Haider entzaubern“. Nach der Sendung war nicht Haider, sondern die journalistische Reputation Böhmes entzaubert. Böhme und seine Gäste hatten den österreichischen Proto-Rechtspopulisten unterschätzt und aus Arroganz oder Unfähigkeit dessen Diskussionstechniken nicht studiert. Sie hatten gedacht, Haider sei letztlich doch einer von ihnen, einer, der sich an die Spielregeln des bürgerlich-demokratischen Diskurses hält. Haider war jedoch kein bürgerlich-demokratischer Politiker, sondern ein rechtsextremer Provokateur, der sich an die Konventionen nicht gebunden fühlte. Böhme, Duve und Giordano konfrontierten Haider mit schlecht recherchierten Zitaten, verwechselten die Namen von FPÖ-Politikern und hatten es nicht für nötig befunden, ernsthafte Recherche zu betreiben. Das Resultat: Ein grinsender Haider konnte jeden Angriff nicht nur parieren, sondern in eine Waffe gegen den Angreifenden verwandeln. Als Giordano Haider mit einem neonazistischen Ausspruch eines burgenländischen FPÖ-Politikers konfrontierte, konnte der FPÖ-Chef lächelnd sagen: „Einen Herren dieses Namens gibt es in der FPÖ nicht“. Und er hatte recht, denn Giordano hatte den Vornamen des Kerls verwechselt. Nach der Talkshow ging Haider als strahlender Sieger vom Platz und das Publikum hatte den Eindruck gewonnen, man habe den Rechtspolitiker mit erfundenen Vorwürfen, die er aber sämtlich entkräften konnte, fertig machen wollen.

Was lehrt uns diese Geschichte? Sie lehrt uns, wie schlechte Recherche die völlig berechtigte Kritik am Rechtsextremismus ins Leere laufen lässt, wie wendige Rechtspolitiker die Schlampigkeit und Faulheit von Journalisten gegen diese und den Journalismus an sich wenden. Jeder Rechtsextremist und Rechtspopulist dieser Welt hat sich das Phänomen Haider ganz genau angeschaut und registriert, wie politische Gegnerinnen und Journalisten wieder und wieder an zwei Sachen scheiterten: An der Fehleinschätzung, Leute wie Haider würden sich an die ungeschriebenen Regeln eines zivilisierten Diskurses halten, und an der eigenen Hybris. Jörg Haider fertigte eine Art Blaupause an, wie Politiker, die mit dem bestehenden System brechen wollen, mit den Medien umgehen müssen. „Wenn ich etwas zu reden habe, wird in den Redaktionsstuben weniger gelogen und mehr Wahrheit sein als jetzt“, sagte er einst. Knapp zehn Jahre nach Haiders Unfalltod regiert in den USA ein Präsident, der in jedem zweiten Tweet von „Fake News“ und der „Lying Press“ fabuliert und unter dem Schlachtruf „Lügenpresse“ schafften es neue deutsche Nazis zweistellig in den Bundestag.

Warum aber ist es diesen neuen Rechtsextremisten so ein Herzensanliegen, die freie Presse zu diskreditieren? Warum reagieren Leute wie Trump, Erdogan oder Putin mit höchster Aggression, die im Falle der Türkei und Russlands bis zur Einkerkerung und sogar Ermordung von Journalistinnen reicht, auf Pressevertreter, die es wagen, ihrer Arbeit nachzugehen? Weil das Antidemokraten sind. Antidemokraten in dem Sinne, als dass sie ein Weltbild vertreten, in dem sie die einzig legitimen Vertreter des „Volkes“ sind und jeder, der sie kritisiert, somit ein „Volksfeind“. Im Autoritarismus ist eine freie Presse ein Störfaktor, der der Opposition zugerechnet wird und somit beseitigt werden muss. Und gräbt man etwas tiefer, stößt man beim Hass auf freie Meinung und freie Presse auf den Antisemitismus, der alle autoritären Strömungen grundiert, denn da das Judentum die Religion des Debattierens ist, haben Juden die Idee und Praxis des freien Journalismus maßgeblich mitgestaltet.

Die Diskreditierung und letztlich Abschaffung des freien Journalismus dient auch dem, was ich die „Zerstörung des Realitätskonsens“ nenne. Wo Menschen sich zu Führern des „Volkswillens“ aufschwingen wollen, soll der Glaube die Ratio verdrängen so wie die Konformität die offene Debatte ersetzten muss, damit die Sache möglichst ungestört und möglichst lange läuft. Und es gibt einen ganz praktischen Aspekt: Wenn erst einmal das Vertrauen in die Presse ausreichend untergraben wurde, stoßen die verbrecherischen Pläne der Autoritären, die von massiver Bereicherung auf Kosten der Gesamtgesellschaft bis zu Massenmord reichen können, auf viel weniger Widerstand, denn wer wüsste denn noch, was real ist? Als CNN von Sklavenauktionen in Libyen berichtete, bei denen Flüchtlinge als Arbeitskräfte versteigert wurden, verlauteten lokale Warlords, das sei eine Erfindung der „Lügenpresse“ und somit „Fake News“. Die internationale Empörung fiel dann auch viel milder aus, als es der Fall gewesen wäre, hätte die Presse noch den Stellenwert, den sie vor dem Generalangriff der Rechtsautoritären auf den Konsens der Realität hatten.

Sehr gelegen kommen den Trumps und Putins und Orbans und all den anderen neuen Führerfiguren die Fehler, die die Journalisten selber machen. So ist das angebliche Enthüllungsbuch „Fire and Fury“, in dem der US-Journalist Michael Wolff bizarre Interna aus dem Weißen Haus offen legt, wohl voll von Hörensagen, Anekdoten aus zweiter Hand und unsauber recherchierten Halbwahrheiten. Damit dürfte Wolff dem unsäglichen Trump womöglich mehr nützen als er ihm schadet. Wie einst schon Jörg Haider wird sich Trump triumphierend auf jede Schwachstelle des Buches stürzen und seinen Anhängern als weiteren „Beweis“ dafür präsentieren, dass der liberalen Presse nicht zu trauen sei.

Wie Rassenwahn zur „Meinung“ wurde

Was von „Bild“ zu Sigmar Gabriel, von Alice Schwarzer zu Frauke Petry, von „FAZ“ zum Stammtisch in der Eckkneipe, also von deutschem Mund zu deutschem Ohr ging, dass nämlich die Kölner Polizei zu Silvester ganz hervorragende Arbeit verrichtet habe und es schon in Ordnung sei, „Nordafrikaner“ als „Nafris“ sprachlich verächtlich zu machen, endet nun, wie es von Anfang an anzunehmen war: Weder waren die nach ihrem Aussehen kontrollierten Personen sämtlich oder auch nur überwiegend „Nordafrikaner“, noch  gibt es Hinweise darauf, es wären dieselben Personen gewesen, die vor einem Jahr vor dem Kölner Bahnhof Radau machten und Frauen belästigten. Ein Rätsel konnte die deutsche Polizei bislang aber noch nicht lösen, was nicht verwunderlich ist, da es ein sehr schwieriges Rätsel ist: Warum sind rund 2000 meist junge Leute, die meisten davon Geflüchtete oder Menschen ohne Ariernachweis, zu Silvester nach Köln gefahren? Die Kölner Cops wollen hierzu eine Arbeitsgruppe einrichten, in der die feinsten Gehirne, die die Sicherheitskräfte zu bieten haben, über jenes seltsame Phänomen grübeln werden, für das  avantgardistische Sozialwissenschaftler den Begriff „Tourismus“ geprägt haben. Dass Menschen, die in kleinen Ortschaften ein tristes Leben fristen, einmal im Jahr woanders hinfahren, um der Beengtheit ihrer Existenz temporär zu entrinnen, ist ja eine völlig neuartige Mode.

Dass die Polizei nun langsam zugibt, ohne andere Grundlagen als rassistische Ängste und Vorurteile und somit grundgesetzwidrig gehandelt zu haben, wird den Marsch der Volksgemeinschaft in  Richtung Zivilisationsbruch 2.0 so wenig verlangsamen wie er diejenigen zum Verstummen bringen wird, die den Takt dazu trommeln. Von moralisch völlig verkommenen Subjekten darf man auch nicht erwarten, sie würden sich hinstellen und sagen: „Ja, ich habe Scheiße geredet/geschrieben, dafür bitte ich um Verzeihung“. Sie werden ihre Scheiße weiter verbreiten und ihren Rassismus weiterhin zu rationalisieren versuchen. Sie werden auch in Hinkunft den verbrecherischen Grundcharakter des Systems, mit dem sie sich arrangiert haben, auf andere projizieren und damit jeden ernsthaften Versuch, über Islam und Patriachat zu reden, erschweren oder verunmöglichen, weil die etwas Sensibleren und mit Gewissen Ausgestatteten eher ungern einen Diskurs führen, der zusehends von Nazis und Neofaschisten bestimmt wird. Wozu auch debattieren? Es ist doch schon lange klar, dass das Gerede über die angeblich „abgehobenen linken Eliten“, die endlich mal auf „das Volk“ hören müssten und „mit denen reden“ sollten, nichts anderes ist als die Aufforderung zur bedingungslosen Kapitulation vor der Barbarei, die sich selbst als Empfinden des „Volkes“ sieht und oft genug auch ist. Wer das nicht glaubt, soll halt mal schauen, wie so ein „Reden mit dem Volk“ ausgeht, wobei unter „Volk“ hier immer nur die rechtsextremen Schreihälse zu verstehen sind. Solche „Dialoge“ überzeugten nie die Rechten vom Irrsinn ihrer Haltungen, sondern schwemmten deren Irrsinn in die Politik und in die Parlamente, wo er in Gesetzesform gegossen wurde und wird. Fast die gesamte politische Klasse Deutschlands von der CSU bis zur Linkspartei ist der Ansicht, rechtsextreme Haltungen würden legitimer werden, je mehr Menschen sie einnehmen und dass die Wahnvorstellung, das edle deutsche Volk würde durch ein paar Menschen anderer Hautfarbe schwer bedrängt und dem Untergang preisgegeben, eine akzeptable oder wenigstens diskutable Ansicht sei.

Abendrot der Zivilisation

Als hätten sie geahnt, was auf die Welt zukommt, haben sich in den vergangen Monaten viele mit einer Clownsmaske getarnt, um ihre Mitbürger zu erschrecken, und die Medien machten daraus ein großes Spektakel. Jetzt zieht einer, der jahrzehntelang den Playboy-Clown spielte, in das Weiße Haus ein und der Horror wird real. Derzeit und wohl noch bis Neujahr schreibt jeder, der eine Tastatur bedienen kann, über die möglichen Motive der Wählerinnen und Wähler Donald Trumps. Das Naheliegende liest man in all den mehr oder weniger klugen Analysen selten: Trump wurde für das gewählt, was er versprochen hatte und was in seinem letzten Wahlwerbespot völlig klar zum Ausdruck kam: Die Entmachtung einer fantasierten jüdischen Elite, die keine Heimatliebe habe und daher den amerikanischen Arbeitern die Jobs geklaut und den Chinesen geschenkt hätte. „The Global Special Interests“ und „The Establishment“ nennt Trump die angeblichen Verschwörer gegen „das Volk“. Das ist das Vokabular von Neonazis, so redet der Ku Klux Klan, so quasseln Alexander Dugin und Marine Le Pen. Das heißt nicht, dass eine knappe Minderheit, die dank des US-Wahlsystems über eine knappe Mehrheit der abgegebenen Stimmen triumphierte, aus lauter antisemitischen Nationalisten bestünde, aber sie besteht aus Leuten, die solches wenigstens billigend in Kauf nehmen.

Viel diskutiert wird auch die Frage, was man dem Rechtspopulismus entgegenhalten könne. Die Antwort, die ich habe, wird Euch nicht gefallen: Nichts. Ein mit antisemitischen Codes agierender Rechtspopulismus war nur aus dem einzigen Grund bis vor wenigen Jahren nirgendwo erfolgreich, weil sich alle an den Konsens hielten, damit nicht Politik zu machen. Der Konsens ist futsch, einfach ignoriert von der Das-Wird-Man-Ja-Noch-Sagen-Dürfen-Bande, die ganz genau wusste, was folgen würde, wären die mühsam errichten Wälle der Zivilisation erst einmal sturmreif geballert. Gegen „Die Juden sind schuld“, „die Ausländer sind schuld“, „die Liberalen sind schuld“, „die Afroamerikaner sind schuld“, „die Intellektuellen sind schuld“, gegen all diese Sündenbockerei kommt keine Vernunft an, kein rationales Argument. Knapp 40 Prozent aller Menschen sind durch Dummheit und frühkindliche Abrichtung zum Gehorsam nicht in der Lage oder willens, die Verantwortung für ihr eigenes Leben und dessen Gelingen oder Misslingen zu übernehmen und springen daher begeistert auf das autoritäre Angebot an, die Schuld für alle Widrigkeiten  irgendeiner Minderheit zuzuschieben. Weitere 40 Prozent laufen dann aus Angst oder Ehrgeiz einfach mit und die verbleibenden widerständigen 20 Prozent landen im Knast oder im Krematorium. So geht das aus, wenn es erst einmal ins Rollen gekommen ist, und es rollt immer schneller. Die Parole „Wehret den Anfängen“ haben sich die Antifaschisten, die den Faschismus erlebten, nicht zum Spaß ausgesucht, sondern weil sie wussten, dass nicht mehr viel zu retten ist, wenn der faschistische Anfang erst einmal gemacht wurde, wenn faschistoide Politiken erst einmal den Sprung zur Salonfähigkeit geschafft haben.

Was wird Trump nun machen? Woher soll ich das wissen? Niemand weiß das. Aber wenn es eine Lehre aus der Geschichte gibt, dann wohl die, dass man die Ankündigung von Verbrechen ernst nehmen sollte und dass manches tatsächlich so heiß gegessen wird, wie man es kocht. Er wird schon aus Selbstschutz und aus Angst vor den Geistern, die er rief, wenigstens einige seiner Versprechen umsetzen müssen. Vielleicht wird es eine fünf Meter hohe Mauer zu Mexiko, für die er eine Rechnung an die mexikanische Regierung schickt. Vielleicht will die mexikanische Regierung diese Rechnung nicht bezahlen? Vielleicht droht Trump dann mit Gewalt, die Mexikaner sagen „fuck you“ und es kommt zum Krieg? Das ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie ein Handelskrieg mit China, der, falls er dutzende Millionen chinesischen Arbeitern den Job und chinesischen Milliardären ihren Reichtum kostet, auch mit scharfen Waffen ausgetragen wird? Vielleicht geht die Welt aber auch gar nicht in einem großen Krieg unter, sondern einfach durch die von Trump angedrohte Aufkündigung aller Klimaschutzabkommen? Keine Ahnung, was alles passieren wird, aber wir werden ab Jänner 2017 in einer anderen Welt leben. Die Chance, dass es eine bessere sein wird, ist verschwindend gering. Viele, die jetzt noch feiern, weil die USA sich unter Trump von der Rolle als „Weltpolizist“ zurückziehen wollen, werden noch blöd gucken, wenn sie erst mal begriffen haben, dass ohne Polizei meist nicht die coole Anarchie ausbricht, sondern das Recht der Stärkeren und es keineswegs ausgemachte Sache ist, dass man selber immer zu diesen gehört.

Team_Zivilisation vs Team_Gina_Lisa

Als Gina-Lisa Lohfink vorigen Montag in Berlin wegen falscher Verdächtigung verurteilt wurde, waren die Sozialen Medien nicht nur voll sexistischen Hohns und abgrundtief bösartigen Hasses auf das It-Girl und Frauen generell, sondern auch voller trotziger Justizschelte, Rechtsstaatsverachtung und pseudofeministischem Radikalismus. Der Blog „Mädchenmannschaft“, eine Art Zentralorgan des postmodernen Gefühlsfeminismus, heulte auf: „Wie sieht Vergewaltigungskultur aus? Genau so“. Weil ein Berliner Gericht zum Schluss kam, Lohfink habe zwei Männer fälschlicherweise der Vergewaltigung bezichtigt, schloss die „Mädchenmannschaft“, in Hinkunft würden sich weniger Frauen trauen, Vergewaltigungen anzuzeigen. Auch die Sozialistische Jugend Österreichs blieb nach dem Urteil unbeirrt im „Team_Gina_Lisa“ und postete auf Facebook ein Meme des Inhalts: „Wenn am Schluss die Betroffene einer Vergewaltigung bestraft wird“. Dass ein deutsches Gericht unter den Argusaugen der Öffentlichkeit aufgrund recht klarer Indizien und Beweise festgestellt hatte, dass gar keine Vergewaltigung stattgefunden habe – es war den österreichischen Nachwuchslinken ebenso egal wie den Demonstrantinnen vor dem Gerichtsgebäude, die den antizivilisatorischen Slogan skandierten: „Macker gibt’s in jeder Stadt, bildet Banden, schafft sie ab!“

Ein Feminismus, der zu einer barbarischen Regung verkommen ist, ist keiner mehr. Und es ist nichts anderes als Barbarei wenn man fordert, das Recht Banden zu überantworten, rechtsstaatliche Grundprinzipien über Bord zu werfen und auch Unschuldige einzusperren, solange das nur die eigene gesellschaftspolitische Agenda voranzubringen verspricht. Da schimmert die alte Krankheit durch, die immer wieder alle möglichen politischen Bewegungen heimgesucht hat, tragischerweise gerade auch linke, nämlich die Bereitschaft zur Inhumanität im Namen der guten Sache. Dass der Zweck die Mittel heilige ist jener moralische Kurzschluss, der immer wieder Menschen, manchmal Millionen von ihnen, Freiheit und Leben gekostet hat. Der klassische Feminismus war nicht so und ist nicht so. Der wollte und will die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts aufheben, die Unterdrückung der Frau beenden und geschlechtsbezogene Privilegien abschaffen. Für eine nicht verübte Vergewaltigung nicht bestraft zu werden, ist aber kein Privileg, sondern ein Menschenrecht.

Die beunruhigende Tatsache, dass mittlerweile an die 60 Prozent aller wahlberechtigten Männer rechtsextreme oder autoritäre Parteien wählen, wird allzu gerne abgetan damit, dass die halt dumm seien, rückständige primitive Machos auf der Suche nach dem Übervater, der ihre Vorrechte wiederherstellt. Auf den Gedanken zu kommen, das könnten wenigstens teilweise Leute sein, die von der peseudofeministischen Durchkriminalisierung der sexuellen Geschlechterverhältnisse verunsichert sind und sich ungern als Macker und Vergewaltiger beschimpfen lassen, scheint mittlerweile verpönt zu sein. Natürlich sind das tatsächlich oft Männer, die den antifeministischen Backlash anstreben, die wieder Verhältnisse wie in den 50er Jahren wollen, die sich nach der vermeintlichen Klarheit des alten patriachalen Autoritarismus sehnen. Aber nicht alle. Einige haben wohl nur die Schnauze voll von einer Feminismusvariante, die Männern nur mehr mit Hass und Generalverdacht begegnet.

Tanz der Teufel -Sebastian Kurz, die Dämonen und das Böse

Wenn der österreichische Außenminister Sebastian Kurz Flüchtlinge auf griechischen Inseln in Internierungslager stecken will und diese sadistische Fantasie in jenem sanften Tonfall vorträgt, der die autoritäre Irrationalität als Produkt vernünftigen Denkens verkaufen soll, wird die systembedingt geförderte Bösartigkeit des politischen Personals, das die Interessen der Besitzenden je nach Klassenzugehörigkeit in Nuancen unterschiedlich gewichtet, am Ende aber stets volksgemeinschaftlich im Sinne eines Wohlstands-Wir vertritt, sogar für jene sichtbar, die sich mit der Realität dieser Welt aus Bequemlichkeit, Überforderung oder Selbstschutz nicht gerne befassen und daher ehrlich entsetzt sind, wenn sich diese Wirklichkeit so zeigt, wie sie ist. Menschen für ihr bloßes Sein, in diesem Falle für ihr Flüchtlings-Sein, in Lager zu stecken, ist längst kein Anfang mehr, den abzuwehren es gelte, sondern eine fortgeschrittene Eskalation des Autoritarismus, der seit den ersten Krisenzyklen des Kapitalismus die Menschheit so hartnäckig begleitet wie der Floh den Hund.

Die kurz´schen Internierungslager wären nicht einmal ein Bruch mit dem, was unsere Gesellschaften sind, sondern nur eine weitere Fortsetzung und allenfalls Zuspitzung der alltäglichen Barbarei, die als abendländische Zivilisation missverstanden wird. Das Aussortieren von Menschen aus dem zuvor konstruierten Kollektiv, um sie dann zu quälen und im Extremfall auch zu töten, hat in den postfaschistischen westeuropäischen Gesellschaften nie aufgehört, es trat bloß in einer quantitativ und qualitativ gemilderten Form auf oder wurde in die Ausbeutungsgebiete der sogannten Dritten Welt verlagert. Der Übergang von der massenhaft eliminatorischen Praxis der Nazis zur Nachkriegsdemokratie, die sich formal auf die Menschenrechte bezog, war kein so glatter und gut datierbarer, wie es die Schulbücher darstellen, sondern ein fließender voller Kontinuitäten. In österreichischen und deutschen Psychiatrien kamen noch bis in die 1950er Jahre hinein hunderte, vielleicht sogar tausende Menschen durch Mangelernährung und Misshandlung ums Leben, weil dort die Nazi-Ärzteschaft einfach ihr Programm der Vernichtung „unwerten“ Lebens unauffällig weiter umsetzte und lediglich auf den Einsatz der unmittelbar tödlichen Giftspritze verzichtete. Die Alliierten ahnten zunächst nicht, dass es neben den Konzentrationslagern noch andere Orte der Vernichtung zu befreien galt, und die Täter-Bevölkerung leckte die Wunden, die sie sich beim Umbringen und Foltern ihrer Opfer zugezogen hatte. Psychische Andersartigkeit, sexuelle Abweichungen von der Norm, Aufbegehren gegen die alltägliche und oft genug bis zum Mord gewalttätige Unterdrückung von Frauen – all das und mehr wurde bis in die 1990er Jahre hinein je nach Ausmaß und Auffälligkeit der Deviation mit Freiheitsentzug und Umerziehungsmaßnahmen sanktioniert und wird das teils bis heute. In den Waisen- und Erziehungsheimen prügelten und vergewaltigten Ex-Nazis und Geistliche massenhaft Kinder und Jugendliche, die Parlamente setzten sich bis zu 70 Prozent aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern zusammen und während die Hippies bei Konzerten tanzten, sperrten die irischen Christen Kate Millet ins Irrenhaus. In Spanien, Portugal und Griechenland lebte der offene Faschismus fort, in Lateinamerika putschte er sich mit Unterstützung westlicher Geheimdienste an die Macht. In der Sowjetunion und ihren Satelliten sorgte ein dröger Funktionärs-Staatskapitalismus für die erwünschte Ruhe über den Massengräbern des stalinistischen Terrors und hobelte konsequent und brutaler noch als in den westlichen Staaten alles weg, was aus der Masse hervorragte. In den Stellvertreterkriegen zwischen den USA und Russland starben Millionen und dabei kam alles zum Einsatz, was der Mensch sich an Inhumanität ausdenken kann.  Folterzentren, Todesschwadronen, Flächenbombardements, Todeslager… 

Es wäre grenzenlos naiv zu meinen, auf Basis dieser jüngeren Geschichte seit 1945 könne eine belastbare Zivilisation wachsen, ein verlässlicher Gegenpol zu barbarischen Regungen aller Art. In der Realität geschah das genaue Gegenteil, denn trotz gewisser Erfolge antiautoritärer humaner Bestrebungen lauerte nicht nur überall und immer die Reaktion auf jeden noch so kleinen Fortschritt. Die Praxis der Kapitalverwertung und der dazu notwendigen Dehumanisierung selbst schuf massenhaft Individuen, deren Ich mit den nicht immer bewusst erkannten, aber sehr wohl stets gefühlten und erlebten Widersprüchen nicht zurande kam und darauf mit verzweifelten Schutzversuchen reagierte. Der Linksterrorismus der 70er Jahre war ebenso ein Ausdruck dieser gescheiterten Versuche zur Selbstheilung des Leidens an einem Wahnsinn, der eben nicht im Individuum angelegt, sondern gesellschaftlich inhärent war, wie es der Islamismus und der neue Rechtsautoritarismus heute sind. Und weil es zum Scheitern verurteilte Versuche waren und sind, sind auch deren Resultate entsprechend beklagenswert. Immer muss jemand sterben oder wenigstens bekehrt werden, sei es der „Klassenfeind“, der „Ungläubige“, der „Muslim“ oder jeder, der anders ist als die Mehrheit.

Sebastian Kurz, mit dem dieser Text begann, ist ein sehr beliebter Politiker und er hofft, umso beliebter zu werden je destruktivere Vorschläge er macht. Das ist bei allen politischen Figuren zu beobachten, die dem global voranschreitenden Rechtsautoritarismus zugerechnet werden können. Immer wieder zu sehen ist, ob bei Donald Trump oder österreichischen Provinzkaspern, das Kokettieren mit dem „Bösen“, das bewusste Abgehen vom ohnehin nur symbolischen zivilisatorischen Konsens. Die Attraktivität des Bösen, des Dämonischen begegnet uns als populärkultureller Topos, wofür der Erfolg des Films „Das Schweigen Der Lämmer“ und vor allem seiner Fortsetzungen als anschauliches Beispiel herangezogen werden kann. Ein kannibalische Serienmörder wurde zum geheimen Helden Millionen von Kinobesuchern nicht trotz, sondern weil er eine Sehnsucht nach der Vorkultur, der Barbarei verkörperte und mit seinem luziden Charisma dem Publikum ein attraktives Angebot machte, nämlich das einer satanischen Schuldlosigkeit, eines Lebens ohne Reue und Gewissen in einer realen Welt, deren extreme Brutalität Menschen mit Fähigkeit zu Reue und Gewissen entweder in eine aufgezwungene Psychopathie treibt oder im klinischen Sinne verrückt macht. Und da das Böse, das Dämonische den Ruf hat, schwer zu widerstehen zu sein, ist die Ausrede für die Verbrechen, die zu begehen es einen ermuntert, auch gleich zur Hand: „Es war ein böser Mensch, der uns in Krieg und Völkermord getrieben hat, aber wir konnten nichts dafür, wir sind dem Teufel erlegen“. Dass der einzige reale Dämon, der einzige wirkliche Teufel der ist, der in Form der eigenen Destruktivität je nach Ausmaß der seelischen Beschädigung Teil der eigenen Persönlichkeit ist, sollte banal sein, ist aber ungeheuer schwer zu vermitteln. Und so ist leider zu erwarten, dass den Trumps und Kurzs und Straches und Erdogans niemand ernsthaft in die Parade fahren wird.

Weinende Flüchtlingskinder und wie wir uns selbst entmenschlichen

Ein Bus soll Flüchtlinge in eine Unterkunft im sächsischen Dorf Clausnitz  bringen. Plötzlich versperrt ein 100 Mann starker Mob dem Bus den Weg. Eineinhalb Stunden lang belagert der Trupp den Autobus und brüllt dabei unentwegt „wir sind das Volk“. Einer der Täter filmt das Geschehen. Auf dem Video sieht man, wie im Bus Kinder und Frauen vor Angst weinen. Der Mob hört nicht auf. Weinende Kinder würden jeden seelisch halbwegs intakten Menschen dazu bringen, Mitgefühl zu haben. Wenn ein Kind weint, will man es trösten, will ihm, wenn es vor Angst heult, diese Angst nehmen. So würden Menschen reagieren, die noch zu Mitgefühl fähig sind. Wir wissen, dass es Leute gibt, die keine Empathie gegenüber verängstigten Kindern empfinden. Pädophile Sexualstraftäter zum Beispiel, Kriegsverbrecher und die historischen Nazis. Spätestens seit dem Video von der Busbelagerung ist klar, dass auch die „besorgten Bürger“, die sich zu flüchtlingsfeindlichen Aufmärschen zusammenrotten, zu dieser menschlichen Grundregung nicht fähig sind. Sie haben die Menschlichkeit in sich abgetötet oder nie besessen. So ist das nämlich mit der Dehumanisierung. In Wirklichkeit wird nicht das Opfer seiner Menschlichkeit beraubt, sondern die Täter machen das mit sich selber. Nicht die Juden, die man in Viehwaggons steckte, wurden dadurch zu Tieren, sondern jene, die sie da hineinsteckten.

Die selbst gewählte Entmenschlichung hat inzwischen große Teile der europäischen Politik erreicht. Als wäre es mit Menschlichkeit vereinbar, beschließt man „Obergrenzen“, nach deren Erreichen Asylsuchende gnadenlos abgewiesen werden. Als wäre es mit Menschlichkeit vereinbar, schiebt man Familien ab, die seit 20 Jahren im Land gelebt und ihre Kinder hier zur Welt gebracht haben, weil die Länder, aus denen sie einst flohen, inzwischen als „sicher“ gelten. Wie in den finstersten Tagen der Menschheit kommt die Polizei mitten in der Nacht, um den Überraschungseffekt zu nützen. Lautes Hämmern an der Tür, dann liest ein Polizist den Abschiebungsbefehl vor und die vor Angst und Verzweiflung zitternden Menschen müssen in aller Hast ein paar Wäschestücke einpacken, bevor man sie in Gefangenentransportern in den Abschiebeknast bringt. Die Gesetze, die diese Unmenschlichkeiten erlauben, werden immer weiter verschärft. Sie machen weder vor bestens integrierten Leuten halt noch vor Kranken. Vorschrift sei Vorschrift, meinen die Behörden, und exekutieren die inhumanen Gesetze, die Politikerinnen ohne Gewissen gemacht haben. In den Abschiebegefängnissen versuchen immer mehr Verzweifelte, sich das Leben zu nehmen.

Was ist schiefgegangen? Warum baut ein europäisches Land nach dem anderen Grenzzäune und betreibt eine inhumane Politik? Wieso meint der reichste Kontinent der Welt, auf dem mehr als eine halbe Milliarde Menschen leben, er könne ein paar Millionen Schutzsuchende nicht aufnehmen und ihnen ein menschenwürdiges Leben bieten? Woher kommt all der Hass auf Menschen, die alles verloren und zurückgelassen haben? Die Wurzeln sind ausgerechnet dort zu finden, wo man sie am wenigsten vermuten würde, in der Aufklärung nämlich. Die hat zwar den Menschen aus dem Feudalismus befreit, aber gleichzeitig den Weg frei gemacht für Ideen und Praktiken, die es zuvor nicht gegeben hatte, nämlich Kapitalismus, Rassismus, Utilitarismus, Nationalismus und weitere Produktions- und Herrschaftsformen sowie technokratische Ideologien, die den Menschen zum Objekt degradierten, dem nichts Heiliges mehr innewohnte und dessen massenhafte Entmenschlichung, ja sogar Vernichtung daher moralisch vertretbar erscheint, solange diese Mittel den Zweck heiligen, und der Zweck heißt je nach Gusto: Profit, Diktatur des Proletariats, Rassenhygiene, Standortsicherung… . Der Tiefpunkt an Amoralität wurde mit dem Nationalsozialismus erreicht, der wie keine andere Ideologie die kapitalistische Scheinlogik von nützlichem und unnützem Menschenmaterial verinnerlicht hatte und seine kranken und falschen Milchmädchenrechnungen den durch Wirtschaftskrisen verängstigten Menschen als Schiefheilungsmethode anbot. „Es geht dir schlecht, weil du die parasitären Elemente mittragen musst. Wenn wir die ermorden, fällt mehr für dich ab“. Dieser Kern nationalsozialistischer Ideologie wirkt bis heute weiter und tritt uns nun in Form der xenophoben Propaganda entgegen, die ähnlich beschränkt argumentiert und wohl gerade deswegen bei den Beschränkten so gut ankommt. „Die Fremden kommen und wollen am Kuchen mitnaschen, deswegen wird dein Stück davon immer kleiner. Wenn wir sie nicht kommen lassen, wird es wieder größer“, so erzählt man es den Leuten, und weil die meisten nichts von Ökonomie verstehen, kommt das gut bei ihnen an. Tatsächlich ist beispielsweise das Gerede von den Flüchtlingen und Migrantinnen, die bloß wegen der Sozialleistungen zu uns kommen wollten, nichts anderes als ein Echo der NS-Propaganda gegen „unnütze Esser“. Es ist eine antizivilisatorische Regung, denn volkswirtschaftlich gesehen gibt es keine „unnützen“ Menschen. Sogar der Koma-Patient gibt dem Menschen, der ihn betreut, Lohn und Brot. Eben jener Koma-Patient wird erst dann zum Belastungsfaktor und somit zum potenziellen Mordopfer, wenn man die volkswirtschaftliche Betrachtung durch eine betriebswirtschaftliche ersetzt. Und das ist seit 40 Jahren die Kernbotschaft rechtsliberaler Propaganda und Praxis. „Mehr privat, weniger Staat“ lautet seit Jahrzehnten die Catchphrase jener, die alle Lebensbereiche der Kapitalverwertung unterwerfen wollen. Damit aber stoßen sie das Tor zur Barbarei auf, denn wenn sich alles und jeder rentieren muss, und zwar betriebswirtschaftlich, dann gibt es tatsächlich „unnütze“ und „überflüssige“ Menschen, deren Erhaltung den „Standort“ schwächt.

Die Anzeichen der erneuten Barbarisierung der Verhältnisse sind schon seit Jahren für jene gut sichtbar, die die Augen nicht fest verschließen. In diesem Blog wurde immer wieder darauf hingewiesen. Die Rückkehr der Euthanasie in den Benelux-Staaten, wo inzwischen eine psychiatrische Diagnose ausreicht, um sich mit offizieller Genehmigung töten zu lassen. Die um ein Vielfaches härteren Strafen, die kriminell gewordenen psychisch Kranken im Vergleich zu sogenannten gesunden drohen und die teils jahrzehntelange Freiheitsberaubung psychisch Auffälliger. Die Abspeisung von Millionen Armen durch private Charity wie die Tafeln. Die teilweise Abschaffung der Invalidenrenten. Existenzgefährdende Sanktionen für Arbeitslose. Und nun das Gerede, von Sozialhilfe abhängigen Menschen Essensmarken statt Geld zu geben und sie zur Zwangsarbeit einzuteilen. All das und mehr war das Vorglühen der neuen Bestialität, deren Fratze uns im Eingangs beschriebenen Video anstarrt, die in den hasserfüllten Gesichtern jener Mitleidslosen zu erkennen ist, die Kinder zum Weinen bringen und dabei weder Scham noch Reue empfinden.

Saudummer Mob vs. Jutta Ditfurth

Nazis, Zinskritiker, Israelkritiker, Antitizonistinnen, Chemtrail-Freaks, lluminaten-Fürchter, Reichsdeutsche und andere Aluhutträger der gehirnbefreiten regressiven Verschwörungsszene wollen unter der geistigen Führung des Radioplapperers Ken Jebsen („ich weiß, wer den Holocaust als Propaganda erfunden hat“) für den Frieden demonstrieren, gar eine „neue Friedensbewegung“ starten. Jutta Ditfurth hat sich, ebenso wie Konstantin Wecker, von den ekelhaften Spinnern in aller Deutlichkeit distanziert. Das bringt diese Figuren zum schäumen und sie offenbaren in ihrer Empörung, wie sie ticken.

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Nazis gegen rechts

Was ich sehe, wenn ich die laufenden Ereignisse in der Ukraine und auf der Krim betrachte, ist nicht bloß ein geopolitisches Tauziehen. Es ist auch nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen  liberaler westlicher Demokratie und autoritärer gelenkter Demokratie. Ich sehe vor allem, wie sehr das gesamte politische Spektrum in ganz Europa nach rechts gerückt ist. Was ist denn Putins Russland? Es ist, wie Alan Posener richtig schreibt, der „Hort der Reaktion in Europa“. Fast alles, was an Antiliberalismus, Antifeminismus, Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus in Europa kreucht und fleucht, sieht bewundernd auf das derzeitige Russland und erblickt darin ein nachahmenswertes Modell. Nicht ohne Grund ist die österreichische FPÖ ganz verliebt in Putin. Ein starker Führer, der Schwule unterdrückt, aufsässige Frauen in den Knast steckt und in Tschetschenien mal eben 200.000 Muslime totmachen lässt, der imponiert denen. Wenn man sonst nichts über Putin und sein Modell wüsste würde die Zuneigung, die ihm von Europas Rechtsextremen entgegen schlägt, ausreichen, um zu wissen, dass er ein Feind von Freiheit und Menschenrecht ist, ein Gegner der pluralistischen Gesellschaft. Dass so einer sich gegen das Völkerrecht einen Teil der Ukraine schnappt, ist furchtbar. Ebenso furchtbar ist, dass westliche Regierungen von der Obama-Administration über die EU-Kommission bis zu Angela Merkels schwarz-roter Koalition in Deutschland nicht das geringste Problem damit haben, offen rechtsextreme und antisemitische Kräfte in der Ukraine zu unterstützen und das frech „Stärkung demokratischer Kräfte“ zu nennen. Die Svoboda-Partei und der „Rechte Sektor“ sind Kräfte, die nicht irgendwie rechtsliberal oder wertkonservativ sind. Die paktieren mit der NPD und der Jobbik, feiern NS-Kollaborateure und Judenschlächter und haben ein Weltbild, das den Putin´schen Rechtsautoritarismus an Engstirnigkeit und fanatischer Bösartigkeit noch übertrumpft. Das Fehlen jeder klaren Abgrenzung gegen diese Figuren seitens der westlichen Mächte entblößt nicht nur das Demokratiegeschwafel als reine Propaganda, es sollte auch jedem in Europa, der  nicht völkisch und neonationalsozialistisch denkt, Angst machen. Wenn die Beteiligung richtiger Nazis an einer Regierung problemlos durchgewunken wird, kann das morgen in jedem anderen europäischen Staat passieren. Der moralische Anspruch der EU ist dahin. Es ist derzeit nicht mal mehr eine sonderlich satirische Zuspitzung, wenn man den Ukrainekonflikt mit „Nazis gegen rechts, sponsored by the EU“ beschreibt. Wenn demnächst in Frankreich der Front National regiert und in Österreich die FPÖ, wird die EU dagegen nicht mal mehr verbal was einzuwenden haben.