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Flüchtlingskrise: Was zu tun wäre

Das Elend nimmt seinen Lauf. Deutschland macht die Grenzen dicht, der Zugverkehr zwischen Österreich und Deutschland wurde eingestellt, Ungarn stellt seinen Menschenabwehrzaun fertig, auf der griechischen Insel Kos wurde das Flüchtlingslager zugesperrt und die Menschen in die Obdachlosigkeit entlassen, kurz: der Traum ist aus. Der Traum von Reisefreiheit und dem Ende der Grenzregime, den viele in den vergangenen Wochen träumten, ist vorbei. Wenn nun nicht ein radikales Umdenken eintritt, rutscht Europa in barbarische Zustände ab.

Deutschland hat vielen tausenden Flüchtlingen erst Hoffnung gemacht, nur um diese Hoffnungen dann wieder zu enttäuschen. Ab sofort führt Deutschland wieder Grenzkontrollen durch und niemand darf ohne die nötigen Papiere einreisen. Flüchtlinge haben solche Papiere nicht, denn sie bräuchten laut dem Dublin III Abkommen einen positiven deutschen Asylbescheid – um den sie aber nirgendwo anders als in Deutschland ansuchen können. Wir sind wieder beim alten Catch 22: „Dir steht das Recht zu, bei uns um Asyl anzusuchen, aber das darfst Du nur in unserem Land machen, in das Du ohne Asylbescheid aber nicht einreisen darfst, weil Du im ersten EU-Staat, den Du betrittst, um Asyl ansuchen musst“. Mit dem neuen deutschen Schwenk drohen die bereits jetzt unzumutbaren Bedingungen für Flüchtlingen wie auch Einheimische in den südeuropäischen Staaten endgültig unerträglich zu werden. Auch in Österreich drohen schlimme Szenen, vor allem an der deutsch-österreichischen Grenze. Ausgedacht haben sich Dublin III deutsche, österreichische und skandinavische Bürokraten, die sehr aufmerksam Kafka und Orwell gelesen haben. Europas Politikerinnen und Politiker haben ganz nach kapitalistischen Machtverhältnissen dekretiert, dass die ärmeren Süd- und Südoststaaten der Union die Last der Flüchtlingskrise ganz alleine tragen sollten.

Dieses System bricht gerade zusammen. Flüchtlinge sind keine Idioten. Sie wissen, dass sie in Mittel- und Nordeuropa wesentlich besser versorgt werden und bessere Chancen zur Integration haben als im armen Süden. Sie wissen auch, dass man als Asylbewerber in Österreich 40 Euro Taschengeld pro Monat bekommt und in Deutschland 140. Und sie wissen, dass man in Schweden oder Norwegen sogar auf noch großzügigere Unterstützung hoffen darf. Daher will der große Treck derjenigen, die vor Krieg und Elend fliehen, in den Norden und lässt sich von Gesetzen oder Zäunen nicht aufhalten. Zumindest nicht, so lange dort nicht die Barbarei ausbricht und auf Menschen geschossen wird. Das jedoch ist eine immer näher rückende schreckliche Möglichkeit.

In den vergangenen Wochen hat die europäische Zivilgesellschaft nach Kräften versucht, das Staatsversagen auszugleichen und viele tausende freiwillige Helferinnen und Helfer haben bis zur Erschöpfung Nahrung, Kleidung und andere Dinge des täglichen Bedarfs ebenso verteilt wie sie Refugees mit Wohnraum und Deutschkursen versorgten. Das war zwar großartig, wird aber am Grundproblem nichts ändern. Und diese Charity-Arbeit wird bald an ihre Grenzen stoßen und könnte so schnell wieder eingestellt werden, wie sie auftauchte. Der Spätsommertraum vom großen Solidaritäts-Eiapopeia, der übrigens immer auch ein Alptraum war, in dem Hilfe nach Gutdünken geleistet oder verweigert wurde, könnte bald ausgeträumt sein.

Wir stehen nun an der Weggabelung zwischen Zivilisation und Barbarei. Wollen wir ersteres, müssen wir Naivität ebenso beiseite schieben wie rechtspopulistische Bösartigkeit und damit anfangen, einen realistischen Plan zu entwerfen, wie Europa mit jenen Massen, die ein Leben haben wollen statt bestenfalls nur zu existieren, umgehen soll.

Meine Vorschläge sähen in etwa so aus:

Die EU wird zur Transferunion.

Macht man einfach alle Grenzen auf, wird jeder Flüchtling, der nicht vertrottelt ist, dorthin ziehen, wo er sich die besten Lebenschancen ausrechnet. Das wird auf Dauer nicht gut gehen, da mit heftigen, gewalttätigen und sich in Wahlerfolgen faschistischer Parteien ausdrückenden Abwehrreaktionen der Bewohner dieser „Speckzentren“ zu rechnen ist. Aber falls man die Fluchtbewegungen ein wenig steuern will, muss man dafür sorgen, dass das Versorgungsniveau von Refugees europaweit in etwa dasselbe Level hat. Und um dies zu erreichen, müssen die reichen EU-Staaten, allen voran Deutschland, endlich vom Ego-Trip runtergeholt werden. Derzeit konkurrenziert Deutschland fast alle anderen EU-Staaten mit seiner Wirtschaftsmacht nieder. Grob gesagt: Griechenland ist arm, weil Deutschland reich ist. Massive Transfers in ärmere EU-Länder müssen das Wohlstandsgefälle flacher machen, anderenfalls kann man von den ärmeren Staaten nicht verlangen, sie müssten sich so um Flüchtlinge kümmern, dass diese nicht sofort weiterreisen wollen. Die Alternative dazu wäre das Ende der Reisefreiheit in Europa und eine Übertragung des ungarischen Modells auf alle anderen Staaten. Wir fänden uns rasch in einem Europa wieder, gegen das die realsozialistischen Staaten wie Horte der Freiheit gewirkt hätten.

Die Saudis müssen zahlen

Es ist bis zu einem gewissen Grad einzusehen, warum sich Saudi Arabien und die anderen reichen Golfstaaten dagegen wehren, Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan aufzunehmen. Die Herrscher dort fürchten, dass mit den Menschen auch ein politischer Umsturz kommt. Wenn sie aber keine Flüchtlinge aufnehmen, sollen sie jene Staaten, die das sehr wohl machen, entschädigen. Das ist umso zwingender, als einige Golfmonarchien den syrisch-irakischen Bürgerkrieg massiv anheizen und verschiedene Terrororganisationen ausrüsten. Auch von anderen Mächten, die Syrien und andere Länder als Schauplätze für Stellvertreterkriege missbrauchen, muss man wenigstens finanzielle Entschädigung für die Opfer ihrer Politik fordern. Damit sind vor allem Russland und die USA gemeint.

Die Fluchtursachen, falls möglich, beseitigen

Wenn wir uns beispielhaft Syrien ansehen, wird rasch eines klar: Dort kämpfen längst nicht mehr „Gute“ gegen „Böse“, sondern, mit Ausnahme der Kurden vielleicht, blutrünstige Banden gegen andere blutrünstige Banden. Das ist nur normal für zerfallende Staaten in geopolitisch interessanten Regionen, die wirtschaftlich, bürokratisch und ideologisch nicht mehr dazu in der Lage sind, ein funktionierendes Staatswesen aufrecht zu erhalten. Sehr rasch entwickelt sich dort ein kaum noch zu überblickendes Gemetzel zwischen verschiedenen Fraktionen, die allesamt von ausländischen Mächten unterstützt werden, um deren Interessen zu sichern. Gute Chancen, sich durchzusetzen, haben dann stets die brutalsten Gruppen, die in ihrem Einflussbereich zwar Terror der schlimmsten Art ausüben, aber auch für eine gewisse Friedhofsruhe sorgen, wofür man die afghanischen Taliban als Musterbeispiel ansehen kann. Große Teile der Bevölkerung waren bereit, deren klerikalfaschistisches System zu dulden, da sie immerhin einen damals seit 30 Jahren tobenden Bürgerkrieg weitgehend beenden konnten.

Wie entwirrt man das, ohne einer Bevölkerung das Recht zu nehmen, sich eines blutsaufenden Diktators wie Assad in Syrien zu entledigen? Indem man den Krieg durch eine massive Militärintervention beendet. Man hätte auch zu Beginn die demokratische Opposition nach Kräften unterstützen können, aber dazu war man zu feig. Jetzt braucht es einen wirklichen Krieg, um einen schlimmeren Krieg zu beenden. Man muss mit einer starken Armee einmarschieren, die Banden entwaffnen und einen demokratischen Übergang sicherstellen. Das ist unpopulär, kostet viele Menschenleben und ist teuer. Aber die Alternative wäre, dem Schlachten und dem aberwitzigen Wüten von Menschheitsfeinden wie dem „Islamischen Staat“ weiterhin so lange zuzuschauen, bis Syrien entvölkert ist.

Einsehen, dass der derzeitige Kapitalismus am Ende ist

Letztendlich geht es bei all den Kriegen nicht um das, was die kämpfenden Banden vorgeben, sondern um Verfallserscheinungen eines kapitalistischen Weltsystems, das ganze Staaten, ja ganze Teilkontinente einfach abschreibt, weil sich Investitionen dort nicht mehr oder noch nicht lohnen. Erst wenn Staaten ökonomisch kippen, können (islamistische) Terrorbanden Fuß fassen und sich zu Kriegsparteien auswachsen. So wie Europa sich dem Wohlstandsgefälle stellen muss, muss das auch die ganze Welt. Solange die einen Regionen im schlimmsten Elend versinken und andere so prosperieren, dass die Millionäre und Milliardäre nicht mehr wissen, was sie mit all der Kohle anfangen sollen, wird es nicht nur Terror und Krieg geben, sondern immer auch Millionen Menschen, die ganz zu Recht denken, auch sie hätten ein Leben verdient und die dieses Leben dann dort suchen, wo das Geld wohnt. Die Ursachen dafür zu beseitigen braucht eine global akkordierte und geplante Vorgehensweise, also eine Abkehr vom weltweiten Zug zum Nachtwächterstaat und eine Rückkehr der Politik. Der Kapitalismus muss dazu gar nicht abgeschafft werden, aber er muss sich der Politik unterordnen, und zwar der demokratischen Politik. Erst wenn die Lebensbedingungen der Menschen in den Mittelpunkt politischer Handlungen gerückt werden und mehr zählen als der Profit, kann sich ein humaner Kapitalismus entwickeln. Sollte das nicht möglich sein, weil die systemischen Beharrungskräfte allzu stark sind, müssen wir auch über ein Ende des Kapitalismus nachdenken.

Den Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte umsetzen.

Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und die Sicherheit der Person“. Aus diesem Satz allein ließe sich eine Welt herleiten, in der jeder Mensch ein halbwegs würdiges Leben haben könnte. Es wird Zeit, dass aus der Erklärung eine Verpflichtung wird, ein völkerrechtlich bindender Vertrag.

Etwas stimmt nicht

Etwas stimmt nicht. Ich sehe, wie sich viele Leute herzlich um Refugees kümmern und Löcher in die Mauer aus absurden Gesetzen und rechtspopulistisch motivierten Regelwerken, mit der Europa sich Flüchtlinge vom Hals halten will, schlagen, aber etwas riecht seltsam. Ich schnuppere erneut, intensiver. „Bild“ schreibt nicht mehr täglich, welch üble Schmarotzer, verkappte Islamisten und zum Verbrechen tendierende Untermenschen die Flüchtlinge seien, sondern verteilt Sticker mit der Aufschrift „Wir helfen“. Der Geruch wird stärker. Deutsche Politikerinnen erklären mal die Dublin-III-Regelungen für außer Kraft gesetzt, mal bauen sie Lager für Flüchtlinge vom „Westbalkan“, vulgo Roma. Aktivisten fahren nach Budapest und laden Refugees in ihre Privatautos, um sie nach Österreich zu bringen, wo sie dann in Lager kommen. Weniger schlimme Lager als in Ungarn, aber Lager.

Etwas stimmt nicht. Die, die sich in Opposition zum Unrecht der europäischen Abschottungspolitik wähnen, kratzen an den Oberflächen des Systems und wollen es hübscher machen, weniger bösartig, aber nicht für alle. Menschen, die sich von Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen bis hierher durchgeschlagen haben, sind fitte und oft gut ausgebildete, meist junge Leute. Die, die ihnen nun helfen, ob in den Bahnhöfen oder in den Lagern, sind meist ganz gut verdienende Leute oder wenigstens solche, die noch Kraft und Zeit dafür haben, andere zu unterstützen. Ein bisschen ist es so, als hülfen die Starken anderen Starken.

Etwas stimmt nicht. Welch skandalöse Truppe die Orban-Regierung ist, wird jetzt angeprangert, da sie ihre Krallen in Menschen schlägt, die man in Deutschland ganz dringend willkommen heißen will, da man in Berlin festgestellt hat, dass man Zuwanderung braucht, will man weiterhin Exportweltmeister sein. Aber nicht jeder soll zuwandern dürfen. Jeder findet die Grenzzäune, die die ungarische Regierung aufstellen lässt, entsetzlich, kaum jemand findet es entsetzlich, wer diese Zäune aufstellen muss, nämlich zur Zwangsarbeit verpflichtete Roma. Teilweise sind es tatsächlich dieselben Leute, die die ungarische Flüchtlingspolitik zu Recht verdammen, die bei sich zuhause Roma-Lager polizeilich räumen lassen. Oftmals dieselben Leute, die Verständnis haben oder zu haben vorgeben, wenn Menschen vor Krieg und existenzieller Not flüchten, nehmen es klaglos hin, dass Roma wieder zurückgeschickt werden in die Länder, in denen sie unter Umständen leben, aus denen jeder Fluchtversuch mehr als verständlich erscheint.

Etwas stimmt nicht. Es tut sich vieles, das man gut finden muss, es regt sich allerlei Mitmenschlichkeit. Aber die ist nicht universell, sondern selektiv. Und sie ist privat. Privatinitiativen können so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind, und niemand hat einen Rechtsanspruch auf sie. Wer Solidarität verdient und wer nicht, wird scheinbar beliebig, aber in Wirklichkeit wohl mindestens unbewusst daran festgemacht, welche Menschen sich als „nützlich“ erweisen können. Dass kein nennenswertes deutschsprachiges Medium von den tausenden Toten berichtet, die die britischen Sozialkürzungen binnen weniger Monate verursacht haben, ist so vielsagend wie die überschaubare Zahl an Aktivistinnen, die sich für die Roma einsetzen. Vielleicht unbewusst, verschüttet unter dem ideologischen Müll, mit dem sich das Bürgertum moralisch durch den Tag rettet, erkennt man in jenen, die tausende Kilometer und über viele oftmals tödliche Hindernisse hinweg den Weg bis nach Mitteleuropa schaffen, solche, die zu „retten“ sich auszahlt, weil sie offenbar stark genug und Willens sind, sich im Sozialdarwinismus durchzusetzen.

Wer macht das Unrecht? Wir!

Das Unrecht sagt nie: „Seht her, ich bin das Unrecht“. Es sagt stets: „Ich bin das Recht“. Unrechtssysteme kommen auch nicht über Nacht, sie entstehen schleichend, auf den Gewöhnungseffekt bauend, die Umdeutung der Begriffe vorantreibend, die Ermüdung ihrer Gegner ausnützend, nach und nach immer mehr Menschen zu Komplizen machend. Für Flüchtlinge vor Mord, Krieg, Verfolgung, Folter, Vergewaltigung und Not herrscht in Europa schon lange kein Recht mehr, das noch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hätte, sondern Recht genanntes Unrecht. Wer es bis nach Europa schafft, wird eingesperrt, ganze Familien kommen in Lager, man trennt Kinder von den Eltern, man schickt diese Menschen von Land zu Land, von Stacheldrahtverhau zu Stacheldrahtverhau, als handle es sich um Tiere. Im Morgengrauen treten Polizisten, denen man ihre Menschlichkeit durch die dicken Panzerungen der Uniformen kaum noch ansieht, Türen ein und nehmen Leute mit, reißen Kinder aus den Armen ihrer Mütter und Väter, verteilen Schläge, drohen mit der Waffe. Menschen verschwinden in Polizeikasernen, werden verhört, eingesperrt und deportiert. Wer diesen Menschen hilft, wer ihnen Unterkunft bietet oder sie vor den Behörden verbirgt, vergeht sich gegen das Recht genannte Unrecht und macht sich strafbar. Haftstrafen drohen. Fluchthelfer nennen sie Schlepper, und wer Flüchtlinge unterstützt, kann wegen Beihilfe zur Schlepperei belangt werden. Menschen werden in legale und illegale eingeteilt, als dürfe man die bloße Existenz eines Menschen kriminalisieren.

Wie konnte es soweit kommen? Wann haben wir angefangen, wegzusehen? Als „guter Mensch“ zum Schimpfwort wurde? Als wir anfingen, den rassistischen Mob befrieden zu wollen, indem wir selbst immer rassistischer wurden? Als Flüchtlingsheime brannten und die Politiker darauf mit Verständnis für die Brandstifter reagierten? Als sich in der Krise zeigte, dass Toleranz, Liberalität, Solidarität und Menschlichkeit für allzu viele nur Schönwetter-Luxusschmuckstücke waren, die eine immer schon hässlich gewesene Psyche behübschen sollten? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass einst Hunderttausende das Lichtermeer, die größte Demonstration der österreichischen Nachkriegsgeschichte, besuchten, um gegen das Anti-Ausländervolksbegehren der FPÖ zu protestieren, und heute, 20 Jahre später, viele damaligen Forderungen der Rechten umgesetzt sind und noch die gröbsten Verstöße gegen das, was anständige Leute als Menschenwürde empfinden, kaum noch Widerstand und Widerspruch auslösen.

Unrecht macht sich zu Recht, indem zunächst einer Gruppe von Menschen die Menschenrechte langsam aberkannt werden. Geschieht dies ohne allzu große Widerstände, wird das Unrecht auf weitere Gruppen ausgedehnt. Nicht Flüchtlinge allein sind in Europa bedroht, auch Europäerinnen und Europäer bekommen zu spüren, dass 70 Jahre antifaschistische Sonntagsreden aus Arschlöchern keine besseren Menschen gemacht haben. In Duisburg formierte sich ein Pogrom-Mob gegen ein Haus, in dem vornehmlich Roma wohnen. Die Mordlust sprang einem aus tausenden Internetkommentaren ebenso entgegen wie aus den Augen und Mündern jener Brandstifter in spe, die sich vor dem Haus zusammenrotteten. Ähnliches geschah kurz danach in Österreich, wo ländliche Jugendliche sich per Facebook dazu verabredeten, Roma gewaltsam vom Grundstück eines Landwirts zu vertreiben. Jeder erhobene Zeigefinger, den westeuropäische Politikerinnen in den vergangenen Jahren gegen die systematische Diskriminierung von Roma und Sinti in Ungarn, Tschechien, Slowakei, Rumänien und Bulgarien erhoben, darf wieder in die Hosentasche gesteckt werden, denn kein Spitzenpolitiker stellte sich in Westeuropa hin und verteidigte ohne Wenn und Aber das Lebensrecht der Bedrohten. Stattdessen ließen italienische Bürgermeister Roma-Camps schleifen und die Franzosen warfen Roma aus dem Land. Reisefreiheit, Niederlassungsfreiheit – alles nur Gewäsch, wie sich nun zeigt. Sobald die Spießbürger mordlüstern werden, weil jemand den Müll nicht so entsorgt wie sie, wird Politik im Sinne der Mordlüsternen gemacht.

Wir alle sind schuld an den Zuständen. Wir, die wir jahrelang tatenlos zuschauten, wie Jörg Haider „mutmaßlich straffällige Asylbewerber“ in ein Lager in den Bergen steckte. Wir, die wir mit den Achseln zuckten, als Polizisten Marcus Omofuma umbrachten. Wir, die wir uns wieder in die Betten kuschelten, als wir von Verhaftungen und eingetretenen Türen hörten. Wir, die wir zuließen, dass freche Bösmenschen den Begriff „Gutmensch“ zum Schimpfwort machten und in Millionen Gehirne damit die Botschaft einpflanzten, es sei okay, ein Drecksack zu sein. Wir, die wir uns einen Scheiß um unsere Mitmenschen kümmern weil wir nicht merken, dass unser Egoismus letztlich auch unser eigener Untergang sein wird. Wir, die wir es ertragen können, dass Menschen in mit Stacheldraht bewehrten Käfigen sitzen, bloß weil sie Flüchtlinge sind.

Menschen zum Fürchten

Falls sich jemand fragt, wo nach einer faschistischen bzw totalitären Machtergreifung immer so rasch all die Folterknechte und Mittäterinnen und Erschießungskommandofreiwilligen herkommen, hier die Antwort anhand von Userkommentaren zum Polizeiübergriff bei einer Demo gegen Abschiebungen.

„Krone“:

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„Die Presse“:

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„Kleine Zeitung“:

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Schiraffenland

Die idealtypische FPÖ-Wählerin zeichnet sich durch folgende Erkennungsmerkmale aus: Liest die „Krone“ und postet dort, beherrscht perfektes Deutsch und ist voller Liebe und Toleranz. Das gehäufte Vorkommen solcher Figuren im Wählerreservoir macht Österreich zum Schlaraffenland für rechte Demagogen, was mir allerdings manchmal einen Hals so dick wie den einer Giraffe beschert.

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