Österreich ist mal wieder letzter. Nicht beim Eurovisions Contest, denn dort sind wir ja mit dem Bauerntölpelsong „Woki mit dem Popo“ schon in der ersten Runde verdient ausgeschieden. Auch nicht bei der Fußball-EM, für die wir uns erst gar nicht qualifizieren konnten. Nein, bei einer Umfrage in elf Staaten zum Thema Finanzwissen haben die befragten Österreicher am schlechtesten abgeschnitten. Das könnte man zwar bequem auf das Bildungssystem schieben, aber ganz so einfach ist es wohl nicht, denn ich halte des österreichische Schulwesen dem türkischen für zumindest ebenbürtig, und die Türken waren bei dieser Umfrage die absoluten Kings. Nein, die Ursachen liegen tiefer als bei weltfremden Mathelehrern. Ich hab da die Theorie, dass die drei weltanschaulichen Strömungen, die Österreich maßgeblich geprägt haben, etwas mit der Sache zu tun haben könnten.
Da wäre zunächst der Katholizismus, der gut tausend Jahre lang Erziehung und Ausbildung ebenso dominierte wie das Alltagsleben und die Gesetzgebung. Die Katholiken haben es, offiziell zumindest, ja nicht so mit Zinsen und Handel und Cleverness. Jahrhundertelang hat die Kirche den Menschen gepredigt, dass unser Herr Jesus Christus Händler und Geldwechsler nicht lieb habe und dass die finanziell und geistig Armen selig seien. Die Gesellschaft sollte möglichst starr und undurchlässig bleiben, denn Gott habe schon jeden dorthin gesetzt, wo er ihn haben wolle. Dass jemand durch Initiative und Schlauheit und Risiko reich und mächtig werden könne, das hat man gar nicht gerne gesehen, was unter anderem ja ein Mitgrund dafür war, dass Österreich bei der Industriellen Revolution recht weit hinterherhinkte. Jedenfalls hat die Kirche den Gedanken, dass Geldgeschäfte sündhaft seien, tief in den Köpfen vieler Generationen verwurzelt. Die nächste Strömung, die dann einen gewissen Widerwillen gegen Finanzgeschäfte in die Köpfe spülte, war der Nationalsozialismus. Der hat die katholische Zins-Aversion und das ständische Denken aufgegriffen und extrem verstärkt. An die Stelle der gottgewollten Einteilung der Gesellschaft trat nun die „Volksgemeinschaft“, und auch in dieser sollte ein jeder seinen angestammten bzw. von der „Vorsehung“ auserwählten Platz haben. Die NS-Propaganda teilte den Kapitalismus erstmals in einen „guten“ und einen „bösen“, oder in deren Terminologie: einen „schaffenden“ und einen „raffenden“. Der „Raffende“ war der Finanzkapitalismus mit seinen Zinsen und Zinseszinsen und seinen komplexen Börsengeschäften. Den hatte man rasch als „jüdisch“ punziert und als Gegenform zum „braven“ deutschen Wirtschaften mit Fabriken und Schichtarbeit und all dem paternalistischen Brimborium stilisiert. Diese seltsame Indoktrinierung ging so weit, dass sogar ganz gewöhnliche Geschäftspraktiken wie Rabatte und Werbung und psychologisch geschickte Preisgestaltung verpönt wurden. In meiner Jugend gab es noch viele von diesen kleinen Nazis, die jedesmal einen moralischen Anfall bekamen, sobald sie im Supermarkt ein Produkt mit zB 19.99 Schilling ausgepreist sahen. „Jüdischer Trick“ zischten sie, „warum nicht ehrlich und gerade 20 Schilling draufschreiben?“ Diese naive und unwissenschaftliche Sicht auf den Kapitalismus wirkt in Österreich bis heute stark nach, und zwar bis weit in die Linke hinein, womit wir zum dritten ideologischen Pfeiler der hiesigen Abneigung gegen finanzwirtschaftliches Denken kommen, zur Sozialdemokratie nämlich. Die war zwar in ihren jungen Jahren durchaus noch marxistische Weltspitze, doch nach dem Aderlass durch Austrofaschismus und Nationalsozialismus war die theoretische Schärfe weg und machte einem schwammigen Wohlfühlsozialismus der Marke Schweden Platz. Mit durchaus erfreulichen Resultaten übrigens für Gesellschaft und Wirtschaft, man verstehe mich da nicht falsch, aber dennoch haben die SPÖ und manche ihrer Vorfeldorganisationen den aus der Frühzeit des Sozialismus (und später des NS) stammenden Arbeitskult gepaart mit Verachtung für das Unternehmerische tradiert, und so wenig zwar gegen die grundätzliche Meinung, der Fabriksschlosser sei ganz genauso viel wert, wenn nicht wertvoller als der Bankier, einzuwenden ist, so fatal wirkt sich so eine Haltung auf das Interesse der Bevölkerung an wirtschaftlichen Zusammenhängen aus. Anders gesagt: Genau jene, die Unternehmer und Banker generell für Gauner halten, laufen am ehesten Gefahr, von solchen tatsächlich übers Ohr gehauen zu werden, weil sie es ihres proletarischen Dünkels wegen nicht für Wert befinden, sich damit zu befassen, wie der Hase läuft im Geschäftsleben. Das alles ändert sich nun zwar langsam, wofür der beste Beweise ja die steigende Zahl von Wirtschaftskriminellen mit explizit sozialdemokratischem/katholischem/deutschnationalem Hintergrund ist, aber gerade in der aktuellen, räusper, „Kapitalismuskritik“ von Occupy & Co kommt sie wieder zum Vorschein, die unwissenschaftliche Fratze des Aberglaubens an einen guten und einen bösen Kapitalismus. Das ist kein spezifisch österreichisches Problem, aber aus den von mir genannten Gründen hier halt doch stärker ausgeprägt als in vielen anderen Staaten.