Schlagwort: Wolfgang Pohrt

Wenn Zombies Moralpolizei spielen

Als Wolfgang Pohrt über Menschen sprach, „die man außer mit dem Messer nicht verletzen kann“, meinte er damit jenes Milieu, das in den fast 20 Jahren, die diese Aussage nun am Buckel trägt, noch viel bestimmender wurde als es damals schon war, denn während 1998 die Zombiefizierung der Gesellschaft erst begann, ist sie zum Jahreswechsel 2016/2017 so weit fortgeschritten, dass diejenigen, die noch Leben in sich tragen, die noch etwas fühlen und somit lieben und hassen können, unweigerlich den Zorn der lebenden Toten auf sich ziehen, die keiner realen Emotion mehr fähig sind, da sie, wie Pohrt es nannte, „entkernt“ sind, ihrer eigenen Menschlichkeit schon lange beraubt. Pohrt meinte all die kleinen Streber und Anpasser, die Lehrerinnen und Beamten, die Psychologinnen und Pädagogen, die Journalisten und Agenturleiterinnen, das saturierte, irgendwie linksliberale, sich an den deutschen Staat und die Herrschenden anschmiegende Kleinbildungsbürgertum, das brav nachplappern kann, wie böse die DDR war und wie großartig der freie Westen sei, das Adorno, Horkheimer, Freud, Foucault, Marx und de Beauvoir gelesen, aber davon bestenfalls Ansätze verstanden hat und das nichts anderes mehr will, als irgendwie weiter zu machen und jeden Futtertrog, wie klein der auch sein mag, gegen Außenseiter zu verteidigen und ansonsten das Primat des Kapitals vor den Menschen zu affirmieren und am ideologischen Unterfutter für das globale Verrecken und Leiden zum Wohle der Shareholder zu stricken. Immerhin kämpfe man ja gegen die „Barbarei“, und Barbaren sind immer die anderen.

Flüchtlinge zum Beispiel, die sich nicht so recht an die Sittenregeln linker Szenekneipen zu halten wissen. Als das Plenum des Leipziger Kulturzentrums Conne Island den unsäglichen Text „Ein Schritt vor, zwei zurück“ veröffentlichte und ich diesen Text in „Konkret“ mit der nötigen Schärfe kritisierte, schlug mir eine letztlich doch unerwartete Welle an Ablehnung, Wut und Hass entgegen, wie sie ansonsten von Menschen geschlagen wird, die sich nicht für Rassisten halten, aber des Rassismus überführt werden. In Blogs und auf Facebook wurde zum Boykott der „Konkret“ aufgerufen und man verteilte PDF-Kopien, um der Zeitschrift finanziell zu schaden. Mehrere Leute aus der irgendwie linken Szene ergingen sich in wüsten Angriffen ad hominem und im letztlich mangels Interesse gescheiterten Versuch, mich und „Konkret“ zu shitstormen. Besonders Geschichtsbewusste unter diesen Leuten schrieben an Zeitschriften, sie würden diese weder lesen noch kaufen und schon gar nicht mehr ihre Edelfedern für sie in Bewegung setzen, sollte man weiterhin mit einem Unmenschen wie mir zusammenarbeiten.

Paulette Genser zum Beispiel, die ganz ernsthaft schrieb, muslimische Frauen, die sich nicht nackt oder halbnackt an den Stand legen, sondern ihren Körper teilweise bedecken, führten damit einen „Jihad“ und die den Islam so hasst, dass sie meinen historisch korrekten Hinweis, der Islam habe sich von christlich beherrschten Ländern dadurch unterschieden, dass er bis zum Kontakt mit deutschen Nazis keinen Vernichtungsantisemitismus kannte, während in Europa über die Jahrhunderte hindurch alle paar Jahre die Synagogen brannten und die Juden ermordet und vertrieben und schließlich industriell vernichtet wurden, ernsthaft mit der „Vertreibung dreier jüdischer Stämme“ durch Mohammeds Armee im Jahre 625 kontert, was in etwa so sinnvoll argumentiert ist, wie die heutige Mongolei für die Untaten Dshingis Khans anzuprangern, warf mir im Blog „Distanz“ „pathische Projektion“ vor. Weiters ferndiagnostizierte die Dame bei mir „abgrundtiefen Hass auf alle Mitmenschen“ und „ausgeprägte Paranoia“. Letzteres, weil ich vor dem neuerlichen Zusammenwachsen der Deutschen zur Volksgemeinschaft gewarnt hatte, die nicht davor zurückschrecken werde, die in Minderheiten und Dissidenten ausgemachten Gegner in Gefängnisse oder an den Galgen zu bringen. Und wirklich; Menschen, von der Volksgemeinschaft totgeschlagen oder gehenkt – wie kann man ausgerechnet in Deutschland oder Österreich auf derlei kommen? So etwas gab es hierzulande noch nie und es gehen auch keine neuen Nazis mit kleinen Galgen spazieren und falls doch, dann vermutlich um ihrer Verachtung für die Todesstrafe Ausdruck zu verleihen, nicht wahr? Denn wenn es eine Bevölkerung auf dieser Erde gibt, der man schon allein aus historischer Erfahrung vertrauen sollte, stets zivilisiert zu bleiben, dann ja wohl die deutsche. Darüber wacht Paulette Genser, deren gesamte publizistische Karriere daraus besteht, dem deutschen Volk zu bestätigen, wie nobel es im Vergleich zu den islamischen Barbaren sei.

Martin Niewendick wiederum, der sich fast täglich ein Stückchen weiter nach rechts bewegt, beklagte meine moralische Verkommenheit, nachdem ich auf Facebook ein Foto teilte, das den Mörder des russischen Botschafters in Ankara zeigte, wie er in heroischer Pose neben seinem Opfer stand und, bevor man ihn abknallte, „vergesst nicht Aleppo, vergesst nicht Syrien rief“. Dies, so hatte ich geschrieben, seien „starke Worte“ und eine „coole Pose“. Das war den Karrrieredeutschen, die schneller als jede Generation vor ihnen sich mühen, den Pöstchen und Einkommen vergebenden Altvorderen zu gefallen, ein weiterer Beweis dafür, welch Unmensch ich sei. Abgesehen davon, dass Mord nicht gut zu heißen ist, gab der Polizist, der zum Attentäter wurde und das in einem letzten verzweifelten Ausruf zu rechtfertigen versuchte, tatsächlich ein Bild ab, dessen ästhetischer Reiz und Aussage nur jenen verschlossen bleibt, die am Wüten der russisch-syrischen Kriegsmaschine und deren mittlerweile in die Hunderttausende gehenden Opfer nichts weiter finden oder die das insgeheim sogar befürworten, da unter den Opfern sicher auch der eine oder andere islamistische Terrorist ist – und ganz viele Kinder, die womöglich mal welche werden hätten können. Da hat einer den Abgesandten eines Regimes, das in Tschetschenien einst 180.000 Menschen, darunter 42.000 Kinder, totmachen ließ und das derzeit in Syrien das gleiche veranstaltet, erschossen, und die Sittenpolizei der liberalen Publizistik findet es ganz furchtbar, wenn man das nicht mit ausreichend glaubwürdig geheuchelter Anteilnahme beweint. Die Lehre aus den Kämpfen gegen den Faschismus, gegen den historischen wie aktuellen in all seinen Kostümen, also gegen Ideologien, die laut Selbstbeschreibung den Tod lieben und das Leben hassen, lautet freilich nicht, wie Niewendick, Genser und Konsorten meinen, den Mördern die andere Wange hinzuhalten, sondern sie am Morden zu hindern. Das Leben statt den Tod liebt nicht der, der nicht zurückschießt wenn sie seine Leute ermorden, sondern der, der andere am Ermorden seiner Leute hindert oder das wenigstens versucht, ob mit Armee und Geheimdienst oder ganz allein mit einer Knarre in der Hand. Man muss nicht die Überzeugungen eines Menschen teilen, der das praktiziert, man kann sie sogar komplett ablehnen, aber man kann das Prinzip respektieren und sehen, dass so einer wenigstens noch lebt während die deutschen Moralprediger, die sich bestenfalls ein Tränchen abringen können, wenn sie die Fotos der zerfetzten Kinderleichen in Aleppo sehen oder an die tausenden Menschen denken, die jedes Jahr vor den abgeschotteten Toren Europas ersaufen, innerlich abgestorben sind, Zombies eben.

Von solchen Leuten nicht gemocht zu werden, ist mir eine Ehre.